Marathonmann – Alles auf Null – Review
MARATHONMANN konnten nicht lange stillhalten und stellten im letzten Jahr ganz rasch ein Konzept auf die Bühne, das ihnen ermöglichte, ihre Musik zu den Fans zu bringen. Das „Alles auf Null“ dokumentiert nur diese Umsetzung, die der Band ganz sicherlich viel abverlangte. Denn es reichte ihnen nicht aus, einfach nur alles auf Akustik zu transferieren. Sie wollten mehr bieten, mehr umsetzen. Dass Sänger Michi in der Lage ist, seinen Gesang etwas zu drosseln und von etwas barsch zu softer zu schwenken, konnte er schon mehrfach beweisen. Aber auch der Verdacht, dass MARATHONMANN, nicht erst seit dem letzten Album, poppiger sind, als ihnen eventuell selbst lieb und auch bewusst ist, wird hier bestätigt. Aber ein bisschen Pop hat bekanntlich noch niemandem geschadet und ganz sicher war angeschrien werden, nicht das, was wir 2020 wollten.
Befreit von Lautstärke und Gebrüll
Dadurch dass MARATHONMANN wirklich manche Kompositionen komplett herunterfahren, wird man sich den Vokabeln bewusst, die die Band nutzt. Das sind teilweise ungewöhnliche Wörter, die nicht in den gewählten Hardcore-Punk-Rahmen passten und nun, flankiert von Streichern und Klavier, erst ihre volle Wirkung entfalten könnten. „Alles auf Null“ enttarnt also, dass die Band beinahe unbemerkt mit einigen Juwelen durch die Gegend gezogen ist. Juwelen, die sie selbst in manchen Momenten in Grund und Boden gelärmt und geschrien haben. Ein bisschen Oho hier und ein bisschen Feuerzeuggeschwenke, ganz rasch wandelt sich „Hinter den Spiegeln“ zum Chartsong.
Ist das schlimm? Nein, verdammt, denn man nimmt Michi, Jonathan, Leo und Johannes die Liebe zur Musik einfach komplett ab und fühlt sich keine Sekunde in irgendeine Konsumfalle gelockt. „Alles auf Null“ ist meilenweit entfernt von der Umsetzung auf der EP „Kein Rückzug, Kein Aufgeben“ von 2014. Die Band hat sich gemausert, ist bemerkenswert besser und einfach handwerklich gewachsen.
Entscheidet euch gerne, für was immer ihr möchtet
Ja gut, ob Michi jetzt dafür plötzlich einen Hut auf der Bühne tragen muss, ist noch nicht abschließend geklärt. Es ist aber total wumpe, wenn sich die Gänsehaut aufbaut, weil „Flashback“ in der neuen Version so viel dicker klingt und sich die Botschaft deutlich tiefer ins Herz drückt. MARATHONMANN konnte auch endlich die Chance nutzen, die Interaktion untereinander auf einer Platte zu skizzieren. Die ist nämlich gar nicht unwesentlich und aus meiner Sicht eine ganz andere, als die die manchmal über Promofotos vermittelt wird. Da sind man eine der drölfhundert Post-Dingensbumens-Bands, die sich uniformiert und höchstwahrscheinlich generische Musik macht. Dabei müssten MARATHONMANN sich nur trauen, die Türen noch ein bisschen weiter aufmachen und einfach noch poppiger werden. „Alles auf Null“ zeigt, dass das funktionieren kann.
All das sind wir, wollen niemand anders sein
Kann man den traurigen Song „Der Abschied“ bringen und direkt danach die ungewöhnliche Ballade „Die Bahn“ spielen? Ja, warum denn nicht. Auch wenn MARATHONMANN bei „Die Stadt gehört den Besten“ und „Wir sind immer noch hier“ den Folk-Swag aufdrehen, klingt das überraschend gut. Und die Varieté-artige Version von „Rücklauf“ inklusive Banjo, kommt auch ohne Vorwarnung, funktioniert aber. Also ihr merkt schon und wer dabei war weiß es eh: Das ist kein liebloses „Wir spielen jetzt mal alles ohne Strom“-Konzept. Im Gegenteil, MARATHONMANN laufen zu kreativen Höchstformen auf, haben mal so richtig geschaut, was sie denn über die Jahre gesammelt haben und was man damit machen kann. Und verdammt, dass ist echt einiges. Hoffentlich wird der Band jetzt klar, dass sie viel mehr können und sich noch weniger anpassen sollten.
Dauer: 52:37
Label: Redfield Records
VÖ: 09.04.2021
Tracklist „Alles auf Null” von MARATHONMANN
Holzschwert (Akustik)
Nie genug (Akustik)
Hinter den Spiegeln (Akustik)
Flashback (Akustik)
Abschied (Akustik)
Die Bahn (Akustik)
Rücklauf (Akustik)
Wir sind immer noch hier (Akustik)
Blick in die Zukunft (Akustik)
Wo ein Versprechen noch was wert ist (Akustik)
Am Ende nichts (Akustik)
Die Stadt gehört den Besten (Akustik)
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