Every Time I Die Radical Artwork 2021

Every Time I Die – Radical – Review

Dass EVERY TIME I DIE auch live ziemlich „Radical“ durchziehen, sollte mittlerweile bekannt sein. Ehrlich gesagt, hatte ich vergessen, wie doll die Amis auf den Putz hauen können. Von „Low Teens“ sind immer noch einige Songs in meiner Playlist, die stinken aber alle im Hinblick auf Adrenalin ziemlich ab, gegen das was uns die Musiker nun auf ihrem mittlerweile neunten Album vor den Latz ballern.

Und das ist mitnichten durchweg laut, sondern einfach in jeder einzelnen Tonart von einer solchen Dominanz und ja, tatsächlich Radikalität geprägt, dass man es einfach nur gut finden kann. Und mit sechzehn (!) Songs sind EVERY TIME I DIE nicht gerade leicht, sondern eher schwer bewaffnet und von daher wäre es gar nicht schlimm gewesen, wenn sich der ein oder andere Stinker eingeschlichen hätte.

EVERY TIME I DIE 2021, Foto von Michael Watson
EVERY TIME I DIE 2021, Foto von Michael Watson

Live and direct from planet shit

So eine richtige Schwachstelle hatten EVERY TIME I DIE noch nie, trotz einiger Line-up-Wechsel. Aber für „Radical“ scheinen alle zur Bestform aufzulaufen. Das fängt beim Sound an. Ein Sound, bei dem uns die Drums von Clayton Holyoak brutal niederdrücken, die Gitarren von Jordan und Andrew wie ein einziger Angriff von allen Seiten (und Saiten!) wirken und Keith wirklich in jeder Stimmlage komplett überzeugt. Andy Hull von MANCHESTER ORCHESTRA wäre als Unterstützung in „Thing With Feathers“ gar nicht nötig gewesen, nimmt man aber gerne mit.

Und wir sind noch gar nicht bei den Kompositionen selbst. Es wirkt, als ob EVERY TIME I DIE in einen Zaubertrank gefallen wären. Stringent nach vorne ging es noch nie, aber die Haken auf diesem Album – darf man schon gelungenes Spätwerk sagen? – haben noch dazu doppelte Böden, Falltüren und wandeln sich ständig.

Would you like to be a heartless piece of shit?

„Radical“ startet mit einem aufdringlichen Störsignal, das genau diesen Tick zu lange ist, sodass man irritiert wird. Keith Buckley schreit zur Begrüßung wie angestochen „Spare only the ones I love, slay the rest!“. Ok, Angriffslevel 3000 wäre damit definiert. Dieser verrohte Einstieg steht exemplarisch für die Vergleiche, die EVERY TIME I DIE auf diesem Album ziehen. Die Tatsache, dass die Menschheit auf dem „Planet Shit“ selbst täglich dafür sorgt, dass ein Menschenleben immer weniger wert ist, ist der Band ein Dorn im Auge. Which side are you on? Willst du wirklich ein herzloses „piece of shit“ sein, das nur für seinen eigenen Vorteil sorgt? Mit solchen Vorwürfen wendet sich die Band mit Sicherheit nicht an die, die mal ohne Fahrschein unterwegs sind oder ihr Pfand in den Müll werfen. Es geht um das große Ganze, das wir Kleinen letztendlich auch durch unser Tun und noch viel mehr durch unser Nichttun beeinflussen können.

Während EVERY TIME I DIE in den Anfangstagen ihren dicken Southern Metal eher an Noise-Szenen reihten, sind die beiden Elemente mittlerweile grandios verzahnt („All This And War“) und die Band klatscht sich so blind und folgerichtig ab, dass es richtig Spaß macht zuzuhören („Hostile Architecture“). Langeweile als Indikator, das haben in letzter Zeit viele Künstler und Künstlerinnen für sich entdeckt. Gar nicht mal dumm, denn wer in unserer Wohlstandsgesellschaft nichts mit sich anzufangen weiß, ist entweder überfordert von den Möglichkeiten oder übersättigt von der Sorglosigkeit.

Musikalische Kugelbahn

In dazu passenden „Post-Boredom“ jagen uns EVERY TIME I DIE durch eine Art musikalische Kugelbahn. Es gibt gerade Strecken, die trügerisch harmonisch sind und dann lenken die Noise-Momente wieder alles um. In „Colossal Wreck“ fordert die Band im zackigen Durchmarsch die Machtübergabe an die Tiere. Davon bin ich genauso wenig überzeugt, wie von der geschönten Vorstellung, dass man den Kindern das Kommando geben soll. Im Endeffekt sind alle Lebewesen zentrovertiert, wenn auch in unterschiedlichen Ausprägungen, aber das Album heißt und denkt eben „Radical“ und nicht „Maybe we can try this, if you don’t mind“.

Die Wut befeuert „Radical“ von EVERY TIME I DIE ungemein, es geht um Veränderung und den Vorschlag einfach mal mit dem Kopf durch alle Wände zu brechen, trügerische Ruhe zu stören und Schuldige zu benennen. Ganz selten wird es mal kurz bedächtig („Things With Feather“, „White Void“), aber die Platte gibt überwiegend forderndes Tempo vor, setzt die Hörerinnen und Hörer unter Strom. Die Band versucht es mit allen Mitteln, räumt ein, dass Wut auch schnell zu Verzweiflung werden kann. Es ist natürlich perfekt, dass Keith Buckley auch stimmlich viel zu bieten hat. Wer das in einem anderen Kontext hören möchte, kann man THE DAMNED THINGS checken.

Tut weh, ist laut und stinkt

Es geht nicht um eventuelle, zukünftige Schieflagen, das Bild, das Keith und Kollegen skizzieren ist durchweg schlecht. „The Whip“ beschreibt die einzelnen Stationen der Abwärtsspirale, zertrampelt sich dabei musikalisch selbst und stürzt in die eigens geschaufelte Grube. Jeder einzelne Song stachelt immens an und bei allem Druck, ballern uns EVERY TIME I DIE doch eine wesentliche Botschaft um die Ohren: „You can change it! Under the whip is freedom“ Um zu raffen, was es zu ändern gilt, muss man erstmal schonungslos analysieren, was genau der Status Quo ist. Das tut weh, das ist laut, das stinkt.

Dauer: 51:19
Label: Epitaph Records
VÖ: 22.10.2021

Tracklist „Radical“ von EVERY TIME I DIE
Dark Distance
Sly
Planet Shit
Post-Boredom
Colossal Wreck
Desperate Pleasures
All This And War
Thing With Feathers
Hostile Architecture
AWOL
The Whip
White Void
Distress Rehearsal
sexsexsex
People Verses
We Go Together

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