Sigur Rós – Odin’s Raven Magic – Review
Die Isländer von SIGUR RÓS zwingen uns ja schon aufgrund ihrer Sprache dazu, ihre Musik mehr zu fühlen, als wirklich inhaltlich zu verstehen. Zumindest nicht auf Anhieb, oder wer spricht hier Isländisch? Das vorliegende Album „Odin’s Raven Magic“, basierend auf einer Livepräsenz von 2002, ist nicht wirklich neu, passt aber genau in die etwas träge machende und auch oft melancholische Winterzeit. Ein offensichtlicher Promo-Move, den man der Band schon vorwerfen könnte.
Unterstützt wurde die Band von der Schola Cantorum of Reykjavik und dem L’Orchestre des Laureats du Conservatoire national de Paris, dementsprechend opulent klingt das Album auch. Selbst für SIGUR RÓS-Verhältnisse ist hier alles besonders verdichtet und emotional erschlagend. Daran sind die beteiligten Filmmusik-Komponisten Hilmarsson und Amiina-Violinistin Sigfúsdóttir nicht unschuldig.
Keine Nachrichten sind gute Nachrichten?
Wer den Falsett-Gesang von SIGUR RÓS nicht mag, wird ihn auch mit „Odin’s Raven Magic“ lieben lernen. Das Album befasst sich mit einem traditionellen isländischen Gedicht über Hrafnagaldr Óðins, das wir zwar nicht verstehen, aber auch nicht verstehen müssen. Der Schmerz, die Hoffnung und die Angst, sind so präsent, dass man sie beinahe greifen kann. Was könnte sich besser dazu eignen, um eine bedrohliche Stimmung zu verdeutlichen, als Geigen und Celli? Alleine die erhabene Dramatik von „Áss hinn hvíti“ ist schlichtweg umwerfend und eine eindeutige Machtdemonstration dessen, was Musik auszulösen vermag. Und nicht nur hier funktioniert die emotionale Übertragung nonverbal, der instrumentale Teil auf „Odin’s Raven Magic“ überwiegt natürlich deutlich.
Trotzdem ein – stark verkürzter – Abriss von dem Gedicht: Die Welt ist aus den Fugen geraten, weshalb Odin zwei Raben in eine mysteriöse Unterwelt schickt, um von einem Orakel den Grund für das Chaos und etwaige Lösungen zu erfragen. Das Orakel weigert sich, sich zu äußern und schickt die Raben wieder zurück. Die Götter feiern ein Fest, weil sie quasi keine Nachrichten als gutes Zeichen deuten. Spoiler: Genau das Gegenteil ist der Fall. Der Kern der Geschichte ist natürlich 1:1 auf heute übertragbar.
Achtung, Märchen können wahr werden
Mein Highlight ist das instrumentale „Dvergmál“, hier versammeln sich die Zwerge und andere Völker um den Baum Yggdrasi, die die Welt umspannt. Der atmosphärische Mittelaltersound in Kombination mit dem akzentuierten Orchester ist einfach grandios. Wenn am Anfang symbolisch die Zwerge rein tröpfeln, baut sich sofort ein Bild vor dem inneren Auge auf. Die Orchesterarrangements sind überwältigend, orientieren sich an alten Stilen und versuchen nicht zwanghaft modern und spritzig zu klingen. Allerdings ist deutlich zu hören, dass hier auch einige Klischees bedient werden: Etwas „Herr der Ringe“ hier, bisschen Island-Feenstaub dort und Weihnachtsreferenzen werden auch gerne genommen. Es wäre verwerflich, wenn es nur nicht so gut klingen würde. „Odin’s Raven Magic“ ist ganz sicher kein leichtes Album und nichts zum Nebenbeihören. Das Album ist märchenhaft, ungewöhnlich und maximal epochal. Im Prinzip ist es ein zeitloses, vertontes Märchen. Und Märchen werden manchmal auch wahr, meistens die bösen.
Dauer: 67:02
Label: Krunk (Warner)
VÖ: 04.12.2020
Tracklist „Odin’s Raven Magic“ von SIGUR RÓS
Prologus
Alföður orkar
Dvergmál
Stendur æva
Áss hinn hvíti
Hvert stefnir
Spár eða spakmál
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