Hartz Angels 2020

Interview mit Ronny Rijkaard von Hartz Angels über „Euch die Arbeit, uns das Vergnügen“

Mit „Euch die Arbeit, uns das Vergnügen“ bietet die zweiköpfige Rapcrew HARTZ ANGELS rhythmische Aufklärung zum Thema „How to …geiles Leben mit Hartz 4“ an. Während die meisten hoffentlich die Ironie und die bittere Sozialkritik verstehen, wird es sicher auch einige geben, die jedes Wort für bare Münze nehmen. Ronny Rijkaard erzählte uns via Skype ausführlich über die Idee dahinter, seinen Liebe zu Hip Hop, wie viel Punk in ihm steckt und die Videos der Band.

Am Freitag kommt eurer Album „Euch die Arbeit, uns das Vergnügen“ raus. So eine Art Releaseshow könnt ihr trotz Corona aber spielen, erzähl mal davon.

Eigentlich hätten wir in einer coolen, kleinen Kneipe namens „Arsch und Friedrich“ in Nürnberg unsere Releaseparty gefeiert, natürlich vor Coronazeiten geplant. Jetzt hat ein kleines Kollektiv, bestehend aus Einzelpersonen, ein Onlinemusikfestival ins Leben gerufen. Das heißt NBG Hip Hub und es geht darum, durch verschiedene Veranstaltungen wie Konzerte, DJ-Sets oder ähnliches, Spendengelder für die örtliche Kulturszene gesammelt werden. Eine Szene, die natürlich wie immer, am Rand steht, wenn es um öffentliche Mittel geht. Das hat für uns gut gepasst, deshalb sind wir gerne ein Teil davon.

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HARTZ ANGELS, 2020 (v.l.n.r.) Ronny Rijkaard, Borris Ritter

Mit HARTZ ANGELS wollt ihr euch ja nicht über die Leistungsempfänger lustig machen. Kannst Du in Worte fassen, was eure Intention war und was das mit Punk zu tun hat?

Hartz Angels Uns die Arbeit uedV Artwork

Um es gleich mal klarzustellen, das ist kein Interview in meiner Funktion als Kunstfigur, die wir ja im Rahmen von HARTZ ANGELS darstellen. Ich will ganz klar sagen, dass Hartz 4 nichts Geiles ist, sondern ein Unterdrückungsmechanismus im Kapitalismus. Leute, die in der Gesellschaft ganz unten sind, werden noch weiter nach unten gedrückt, in Zwangsmaßnahmen gesteckt, müssen mit ganz wenig Geld auskommen und obendrauf gibt es dann noch sowas wie Leistungskürzung und Maßnahmen, die das Leben noch schwerer machen. Hartz 4 ist auf jeden Fall scheiße. Dann gibt es aber trotzdem in unserer Gesellschaft einen Querschnitt, der behauptet, es seien alles Schmarotzer, die Leute würden sich ein schönes Leben auf den Nacken vom Staat machen. Mit diesem Klischee spielen wir und spinnen das etwas weiter. Was kann mit dem Geld alles geiles machen? Richtig fettes Luxusleben, mehrmals im Jahr in Urlaub fliegen und mehrfach die Woche auf den Tennisplatz gehen, Golf spielen und einfach nur die besten Sachen gönnen. Dafür muss das Geld doch auf jeden Fall reichen, glaubt man diesen Leuten. Das ist im wahren Leben natürlich nicht so. Und die Kunstform Hip Hop, deren wichtigstes Stilmittel Übertreibung ist, ist genau was man braucht, um es maßlos zu übertreiben.

Glaubst Du, dass es Leute gibt, die genau das nicht schnallen?

Ja, bestimmt. Wir bewegen uns im subkulturellen und linken Umfeld und selbst da wurde ich schon angesprochen, ob wir damit versuchen die Betroffenen zu verhöhnen. Machen wir natürlich nicht, es ist Hip Hop und das muss man als Genre auch irgendwie verstehen, die Überspitzungen erkennen.

Es ist auch noch nicht so lange her, dass man dem Punk absprach, dass er überhaupt noch etwas Relevantes zu sagen hätte. Viele Musikjournalisten haben dem Hip Hop quasi die Hoheit für Gesellschafts- und Sozialkritik in den Mund geschrieben.

Ich hatte eine Punkerjugend, bewege mich weiterhin in dem Umfeld. Aber man wandelt sich mit der Zeit, auch wenn die Grundeinstellung gleich geblieben ist. Und bei mir ging es mehr in Richtung Hip Hop, ich hatte auch schon andere Projekt in die Richtung. HARTZ ANGELS wurde mit dem Anspruch gegründet, alles so professionell wie möglich aufzuziehen. Der Spirit ist aber der gleiche und die Inhalte auch, auch wenn man versucht es mainstreamtauglicher zu machen, sodass die politischen Inhalte besser verbreitet werden können. So ganz in die Punkecke passt das aber nicht.

Wer macht die Beats für eure Songs?

Die sind hauptsächlich von JELLYBEATZ, den haben wir ungefähr zwei Jahren kennengelernt. OK COOLIO kümmert sich um den musikalischen Rahmen, mischt und mastert die Sachen, manche Beats kommen auch von externen Leuten oder von OK COOLIO selbst.

Ihr habt euch ja mit dem kompletten Konzept von HARTZ ANGELS erstmal einem Thema verschrieben. Hattest Du zwischendurch Bedenken, ob ihr bei diesem monothematischen Vorgehen genug Texte erstellen könnt?

Wir haben locker noch Stoff für zwei oder drei Folgealben. Wichtig ist, dass man schauen muss, dass es nicht zu eintönig wird und man auch noch andere, angrenzende Inhalte, mit dabei hat. „Euch die Arbeit, uns das Vergnügen“ ist schon gut durchgewürfelt und hat einige abweichende Lieder. Zwei typische Battle-Rap-Tracks und die Single „3er BMW“ haben nicht wirklich was mit Hartz 4 zu tun. Wir haben uns vorher überlegt, was wir eigentlich erzählen wollen. Wir wollen die Asis sein, die Sozialschmarotzer, die den modernen Punkspirit leben. Der Name HARTZ ANGELS hat sich dann daraus entwickelt.

Ihr habt viele Samples auf dem Album. Von Arno, dem tragischen Kult-Arbeitslosen, aus Talkshows und Nachrichtensendungen. Ich hatte den Eindruck, dass die schon ziemlich alt sind und war mir nicht sicher, ob das jetzt ein gutes oder schlechtes Zeichen ist.

Meinst Du, dass die Bevölkerung weniger von diesen Dingen behauptet?

Ja, dass sogar so uninteressant geworden ist, dass man sich noch weniger darum kümmert und die Tatsache tot schweigt.

Wir bedienen uns vom Sound her einem älteren musikalischen Sound, machen ja keine Trap-Beats oder 808 Bässe, eher Old-school-Beats. Aus dieser Zeit stammt ja auch eher das typische Sampling und auch die Talkshows, deshalb hat es gut ins Konzept gepasst.

Meinst Du, dass die Coronakrise an der allgemeingültigen Meinung „Ohne Arbeit ist man nichts wert“ etwas verändern kann, da viele jetzt dazu verdammt sind, nicht oder weniger zu arbeiten und sich auf anderem Wege in der Gesellschaft einbringen müssen?

Privat würde ich auf jeden Fall sagen, dass wohl der Fokus durch die Krise auf die systemrelevanten Berufe – im Supermarkt oder pflegerische Berufe, die sehr schlecht bezahlen – gelenkt wurde. Aber außer dem Applaus, der ja schon angekreidet wurde, gibt es bisher keine Veränderungen.

Konzerne wie VW oder Daimler schicken mehrere Tausende in Kurzarbeit, beziehen staatliche Gelder und zahlen sich für das Jahr 2019 mehrere Milliarden Euro Dividende aus. Das ist für mich trotzdem eine wahnsinnige Ungleichheit. Dass der Fokus mehr darauf gelegt wird, ist gut. Es müssen aber Taten folgen und ich glaube, das wird nicht passieren.

Wie findest Du den Begriff „systemrelevant“?

Tja, kommt darauf an, was man als System sieht und wie man relevant definiert.

Du hast die Situation der Kulturszene angedeutet, der Fortbestand der Clubszene wäre für mein seelisches System schon relevant.

Definitiv.

Ihr deutet auch an, dass diese Stigmatisierung und das Wegsperren in die Plattenbausiedlung Anteil daran haben, dass Personen auf die falsche Bahn geraten.

Es ist ja auch so, dass man durch Arbeitslosigkeit in eine Abwärtsspirale gerät. Es kommt nicht selten vor, dass jemand, der seine Arbeit verliert, auch in Alkoholsucht gerät, seine Wohnung verliert oder es sogar in Obdachlosigkeit endet. Es gibt viele Obdachlose, die genau dadurch in ihre Situation gekommen sind. Ich habe bei Bekannten schon oft mitbekommen, welche Torturen die durchlaufen und schon alleine der 16-seitige Erstantrag ist für jemanden, der keine Ahnung davon hat, echt eine Hürde. Die Leute werden in die Arbeit rein gezwängt, sollen arbeiten und ihre Arbeitskraft verkaufen, ganz egal zu welchem Preis. Man muss ganz viel über sich ergehen lassen, ganz viele Hürden nehmen und dann erscheint Hartz 4 am Himmel… und es sind trotzdem nur 400 Euro im Monat.

Du sagtest vorhin bei „3er BMW“ würde es jetzt weniger um Hartz 4 gehen. Ich dachte, der Song spielt darauf an, dass gerade betroffene Jugendliche absurderweise oft Musik von Rappern hören, die ihnen erzählen, wie geil sie jetzt mit dem Geld protzen können.

Ja, darauf spielen wir auch an. Aber in erster Linie geht es um die Tatsache, dass es im deutschen Mainstream-Rap mindestens 15 Lieder gibt, die nach Autos benannt sind. Jeder rappt darüber, wer das geilste Auto, die meiste Kohle und die dickste Goldkette hat. Das sind nicht die Werte, die wir mit HARTZ ANGELS nach außen vertreten möchten. Einfach nur langweilig, weil man sich nichts Besseres überlegen kann. Das einzige Auto, in dem wir uns chauffieren lassen, ist eben der klassische Streifenwagen der Polizei.

„Diskounterikone“ triggert bei mir einen Spruch, den ich früher oft gehört habe. Man sagte immer: ‚Bevor ich arbeitslos bin, setze ich mich bei ALDI an die Kasse.‘ Da steckt schon viel Abwertung drin, abgesehen davon, dass die sicher auch keine Jobs zu verschenken haben. Das Video zum Song habt ihr aber gar nicht in einem Discounter gedreht.

Es war gar nicht so einfach einen Discounter zu finden, wo man als Low-Budget-Crew ein Video drehen kann. Es ging alles über persönliche Kontakt und ich bin froh, dass wir dort – Shout out an den Edeka – drehen durften. Ich habe mich echt Wochen vorher rein gestresst, da was klar zu machen, keine Chance. Aber der Filialleiter von diesem Edeke hat netterweise zugesagt. An einem Sonntag um 10 Uhr wurde uns aufgesperrt und wir quasi durften machen, was wir wollen. Die haben uns sogar noch mit einem Gabelstapler für besondere Aufnahmewinkel unterstützt, den Getränkemarkt aufgestellt und die Bilder von der Überwachungskamera zugespielt. Das war ein sehr lustiger Tag und ein toller Dreh.

Gerade für HARTZ ANGELS sind die Videos ein wichtiges Stilmittel, um die Ironie klar zu machen.

Auf jeden Fall. Videos sind in der heutigen Zeit extrem wichtig, wir wollten auch keine schlecht produzierten Videos erstellen und haben viel Wert auf die visuelle Erscheinung gelegt.

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