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Muff Potter – Bei aller Liebe – Review

Die Review, die nun zu „Bei aller Liebe“, dem neuen Album von MUFF POTTER, folgt, ist vollkommen unbeeinflusst von Nostalgie und Erwartungen. Es fällt schon auf, dass eine Menge Leute meinen, sehr viele Erwartungen an die deutsche Rockband aus Rheine stellen zu müssen. Erst die Reunion und jetzt kommt auch noch 13 Jahre nach „Gute Aussichten“ ein neues Album. Anlass genug, um laut Ausverkauf zu brüllen und jeden Ton mit den bisherigen Platten zu vergleichen.

Wie zynisch, da es sich hier ja um eine Band handelt, die sich textlich von jeher gegen Zwänge, Druck und klassizistische Beißereien stellt. Ehrlich gesagt, sollten wir froh sein, über jede Art von handgemachter Musik. Und über ambitionierte Texte mit Köpfchen, wie sie Thorsten „Nagel“ Nageschmidt von jeher, auch abseits seiner Romane, festhält, sowieso. „Bei aller Liebe“ ist musikalisch betrachtet ein Lichtblick und inhaltlich ein Wadenbeißer, beides können wir aktuell gut gebrauchen.

Nachbestellen oder nach Hause schwanken?

MUFF POTTER wandeln mit „Bei aller Liebe“ auf jeden Fall häufig abseits jeglicher mit „08/15“ ausgeschilderten Pfade. Schon der Opener „Killer“ präsentiert sich eher wie ein Absacker, wenn man den Kopf schon halb auf der Theke parkt und noch zwischen nachbestellen und nach Hause gehen schwankt. Das ist aber auch genau die Situation, an der die Band gesellschaftsatmosphärisch einhaken muss.

Auch intellektuell gibt es Abstufungen. Über manche Songtexte kann man lange grübeln, ordentlich auf den kognitiven Impulsen herumkauen. Sätze wie „niemals mehr zur Arbeit gehen“, „die Sonne lacht uns an oder aus oder so…“ oder „machen ist wie wollen, nur krasser“ erschließen sich da schon einfacher.

Mich packen eher ganz andere Sätze, wie ein beiläufiges „ich kenn‘ ein paar Leute, wir tun uns zusammen“, das ist so herrlich im NAGELschen Stil um die Ecke gedacht und doch so einfach, wie es nur geht. Spielmacher ist häufig Drummer Thorsten Brameier, was für Alternative Rock nicht unbedingt üblich ist.

Kein Töten ohne Mörder

Wenn er aber im überragenden „Nottbeck City Limits“ die Szenerie unter Spannung hält, dann steht er mit der darin stattfindenden, hohen Erzählkunst von Nagel doch ebenbürtig auf einer Stufe. Dieses Lied ist zweifelsohne eines der Highlights und typisch MUFF POTTER. Eine penibel präzise Beschreibung der Umstände, im Hinblick auf Strukturen, aber vor allem im Hinblick auf Emotionen. Mal ganz abgesehen davon, dass Tiere nicht ohne Sinn sterben möchten, liegt es auch in der Natur des Menschen nicht töten zu wollen. Nur fressen wollen viele. „Bei aller Liebe“ stürzt sich immer wieder auf das Wir-Gefühl, beleuchtet die positive und die negativen Seite davon und spielt auf darauf an, dass es Zeit wäre, dass sich Gleichgesinnte für etwas Positives vereinen.

Die Anzettelung der Revolution ist tanzbar, das ist wichtig, aber auch in seiner Beschreibung so peinlich logisch. „Wir sind die freisten Menschen, die wir kennen“, ruft Nagel in dem über Kreuz trommelnden „Flitter & Tand“. Bitter, aber wahr. Doch wie man weiß, endet die anderer da, wo unsere Freiheit beginnt. Neu-Gitarrist Felix Gebhard (ZAHN, live bei EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN) bringt sich übrigens super ein, in den MUFF-POTTER-Kosmos. Häufig setzt er Akzente, hält dem Sänger den Rücken frei und schmückt so manchen Song genau an der richtigen Stelle aus.

Es schimmert bunt im MUFF-POTTER-Kosmos

„Hammerschläge, Hinterköpfe“ ist nicht nur eine Verneigung aus dem Buch „Kachelbads Erbe“ von Hendrik Otremba, der Song klingt auch etwas nach dessen Band MESSER. Die Drums geben sich hektisch, während Gitarren und Bass eine stoische Leichtigkeit ausstrahlen, unbeirrt den Kontrast halten. Das Glockenspiel und der Uhu-Chor konterkarieren die provokanten neoliberalen Aussagen, die Nagel bissig vorträgt. Man merkt schon an den bisherigen Beschreibungen, dass viel los ist auf dem Album.

Run away, turn away

MUFF POTTER ruhen sich weder auf irgendetwas aus, noch imitieren sie sich selbst oder arbeiten nach Erwartungshaltung. Nein, „Bei aller Liebe“ ist ein starkes Album einer Band, die Bock darauf hat, Musik zu machen und über Texte Impulse im gesellschaftlichen Diskurs zu setzen. Mag ich und wird im heimlichen Hit „Privat“ aus meiner Sicht besonders treffend auf den Punkt gebracht.

Dauer: 46:12
Label: Hucks Plattenkiste
VÖ: 26.08.2022

Tracklist „Bei aller Liebe“ von MUFF POTTER
Killer
Ich will nicht mehr mein Sklave sein
Flitter & Tand
Ein gestohlener Tag
Wie Kamelle raus
Hammerschläge, Hinterköpfe
Privat
Der einzige Grund aus dem Haus zu gehen
Nottbeck City Limits
Schöne Tage

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