Thomas Melle – Das leichte Leben – Review
Wenn jemand wie Thomas Melle einen Roman mit „Das leichte Leben“ betitelt, kann man sich als Realistin entspannt zurücklehnen. Melle weiß genug über das wirkliche Leben und all seine Widrigkeiten, um uns eben keinen langweiligen Gute-Laune-Roman vorzulegen. Und er hat die sprachliche Kompetenz und Wortgewandtheit, um den Seiltanz zwischen Konventionen zu Abartigkeiten so schonungslos zu beschreiben, wie er eben ist. Eigentlich ist „Das leichte Leben“ ein Familienroman und es geht hauptsächlich darum, wie wir und eben auch alle Beteiligten in dem Buch, darum ringen, ein möglichst leichtes Leben zu haben. Ohne zu wissen, was genau das bedeutet.
Leichtigkeit, so schwer wie Blei
Nun kann Leichtigkeit viele Ausprägungen haben, Thomas Melle spielt in „Das leichte Leben“ auf die Sexualität an, also leicht zu kriegen. Leicht findet sich aber auch im Sinne von „kein leichtes Los“ haben wieder. Melle beschreibt einen Lebensabschnitt aus mehrere Perspektiven, es gibt keinen besonderen Einstieg oder eine sich stringent durchziehende Handlung. Im Prinzip setzt die Mellesche Zuspitzungen einen natürlichen Endpunkt der Geschichte, er hat den Roman in drei Eskalationsstufen unterteilt.
Das vertraute Grau in Grau
Alleine die Tatsache, dass ich „Das leichte Leben“ von Thomas Melle auf einen Rutsch in knappen fünf Stunden verschlungen habe, sagt einiges aus. Dieser Autor hat einfach eine beeindruckende Sogkraft in seinen Texten – seine wirre Hommage an die BEASTIE BOYS mal ausgenommen – und ist in seiner aufgefallenen und häufig auch abweichenden Gedankenspirale so präzise, dass man es kaum fassen kann. Er beschreibt sexuelle Handlungen und Begehrlichkeiten einerseits nüchtern und andererseits so treffend auf den Punkt, dass man sich über internationales Lob über seine Bücher nicht wundert. Das Leben skizziert er grau in grau und in seinen abstoßenden Phasen trotzdem so vertraut.
Die Gedanken der Anderen
„Das leichte Leben“ erzählt uns die Geschichte einer vermeintlich durchschnittlichen Familie. Der Vater, ein unfreiwilliger TV-Star auf Abwegen, wird mit einer nebulösen Vergangenheit konfrontiert. Die Mutter, eine quereingestiegene Lehrerin, ist mit ihrem Sexleben unterfordert. Deren beiden Kinder entdecken langsam Lust und Liebe und dann ist da noch der geheimnisvolle Keanu, der seiner Sexualität schon weit voraus ist und Anlagen zu gestörtem Distanzverhalten aufweist. Wie genau diese unterschiedlichen Menschen interagieren ist interessant, viel interessanter sind aber deren Gedanken, die Melle uns offenbart. Der Zusammenhang zwischen Sex und Macht, die nicht zu füllende Leere, das minderwertige Selbstbewusstsein und die Wünsche, die sogar die Träumenden selbst irritieren oder abstoßen, duellieren sich vortrefflich.
Seiten: 352
Verlag: KiWi-Taschenbuch
ISBN-10: 3462002570
ISBN-13: 978-3462002577
VÖ: 08.09.2022
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