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Tobias Ginsburg – Die letzten Männer des Westens, Antifeministen, rechte Männerbünde und die Krieger des Patriarchats – Review

Der Regisseur und Autor Tobias Ginsburg widmet sich mit seinem neuen Buch “Die letzten Männer des Westens, Antifeministen, rechte Männerbünde und die Krieger des Patriarchats” einer Gruppe, die nicht so leicht zu fassen und in ihrer Wirkkraft nicht zu unterschätzen ist. Wären die beschriebenen Begegnungen und Aussagen nicht echt, könnte man Ginsburg für eine gut gebaute, unterhaltsame und pointierte Satire danken.

Die Erzählungen von zwielichtigen Treffen auf dem Land und die Allmachtsfantasien von Rechten und Anti-Feministen klingen einfach zu absurd. Leider beruht alles auf Tatsachen und je weiter wir im Kaninchenbau vorankommen, umso deutlicher wird bewusst, mit welchen perfiden Verschleierungstaktiken all das genau vor unseren Augen in rasender Geschwindigkeit geschieht. Eine möglichst neutrale Beschreibung von Wahnsinn.

Überraschend eng verzahnt

Man kann es Ginsburg nicht verübeln, dass er im Laufe seiner Recherche für “Die letzten Männer des Westens, Antifeministen, rechte Männerbünde und die Krieger des Patriarchats” öfter mal Zwangspausen einlegt, weil ihn das Umfeld dermaßen abstößt, dass er sich ohne nachhaltige Schäden dort nicht länger aufhalten kann. Auch als Leserin muss man das Buch öfter mal kopfschüttelnd zur Seite legen. Auch die Momente, in denen er – wenn auch verzweifelt – darüber lachen muss, was Person XY ihm, ohne mit der Wimper zu zucken, erzählt. Es scheint relativ einfach zu sein, sich die Türen zu diversen Facebook-Gruppen und abgelegenen Veranstaltungen mit geschmacklosen Statements frei zutreten. Denn die Tarnung von Ginsburg, der ja bereits als Enthüllungsautor in Erscheinung getreten ist, ist weniger trickreich, als man denken würde.

Aber da es in der Natur des Menschen liegt, sich am liebsten selbst reden zu hören, erfährt man ziemlich viel über enttäuschte, männliche Seelen und die kruden Schlüsse, die sie aus ihren gemeinsamen Erlebnissen zählen. Die daraus resultierenden Glaubenssätze und der starke Drang diese möglichst schnell und flächendeckend über Seiten namens WikiMANNia zu verbreiten, sind erschreckend. Den meisten von ihnen möchte man weder im Dunkeln, noch im Hellen begegnen. Umso schlimmer, dass Ginsburg aktive Politiker der FDP benennt, was deutlich überraschender ist, als die immer wieder auftretenden Querverweise zur AfD oder rechte Rappern, denen ein großer Versandhandel durch den Ausschluss ihrer Produkte die Tour vermasselt hat.

Möglichst neutrale Beschreibung von Wahnsinn

Für seine Recherche zu “Die letzten Männer des Westens, Antifeministen, rechte Männerbünde und die Krieger des Patriarchats” reist Tobias Ginsburg verdeckt nach Polen und auch in die USA. Bei dem Gedanken daran, dass wir den Entwicklungen in diesem Land so ungefähr 10 bis 15 Jahre hinterherhinken, wird einem unwohl. Eine Straight Parade – als Konter für Veranstaltungen, um die LGBTQ+-Community sichtbar zu machen – gehört vergleichsweise zu den harmlosen Aktionen. Ginsburg verstärkt sich darauf, möglichst neutral zu beschreiben, was passiert und was er sieht. Dabei versucht er wenig parteiisch zu sein, allerdings erwischt er sich immer bei dem Gedanken, ob er nicht an Stelle XY den Verlauf hätte beeinflussen können.

Das Gefühl von Machtlosigkeit

Und genau diese Frage stellt sich auch den Leserinnen und Lesern: Was kann ich tun, was bringt es mir “Die letzten Männer des Westens, Antifeministen, rechte Männerbünde und die Krieger des Patriarchats” zu lesen und darüber gut Bescheid zu wissen? In erster Linie schärft es die Wachsamkeit und zeigt auf, wo genau die Rechten anzuknüpfen versuchen und aus welchen vielen, kleinen Gruppen sich der Mob zusammensetzt. Und es zeigt, dass arglos gelesene Begriffe wie die Forderung nach “Geschlechtergerechtigkeit” nicht per se positiv gemeint sein müssen. Wie man das beeinflussen kann, bleibt unklar und dementsprechend steht am Ende zwar ein Erkenntnisgewinn, aber in erster Linie das Gefühl der puren Machtlosigkeit.

Seiten: 336
Verlag: Rowohlt
ISBN-10: 3499003538
ISBN-13:  978-3499003530
VÖ: 19.10.2021

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