Rettet die Demokratie Dirk Neubauer

Dirk Neubauer – Rettet die Demokratie! Eine überfällige Streitschrift – Review

Der Autor Dirk Neubauer ist Bürgermeister der sächsischen Stadt Augustusburg, und mit seinem neuen Buch „Rettet die Demokratie! Eine überfällige Streitschrift“ möchte er angeblich das politische System umbauen. Das klingt alles deutlich reißerischer, als es von ihm gemeint ist. Mit Streitschrift, bzw. mit dem Wort Streit, verbindet man heutzutage nämlich in der Regel Menschen, die laut schreien und aggressiv versuchen, ohne Rücksicht auf Verluste, ihren eigenen Willen durchzudrücken. Dirk Neubauer ist definitiv anders und das Buch darf man eher als einen sehr konstruktiven und anhand von eigenen Erfahrungen belegten Vorschlag für eine Alternative zur Besserung der aktuellen, politischen Situation in Deutschland verstehen.

Machterhaltung um jeden Preis

Es gelingt Dirk Neubauer sehr schnell, mit „Rettet die Demokratie! Eine überfällige Streitschrift“ die Leser*innen in sein Boot zu holen. Denn er macht gleich zu Anfang deutlich klar, dass die Menschen aus seiner Sicht wahrlich nicht politikverdrossen seien, sondern man viel eher die Politik als solche kritisch unter die Lupe nehmen sollte. Dann würde man erkennen, dass die Menschen von dieser Art der Politik verdrossen sind. Weil sie nicht inkludiert werden, die vielen Regeln und Gesetze, die ursprünglich zum Schutz der Demokratie eingesetzt wurden, nicht (mehr) verstehen und nicht nachvollziehen können. Er beäugt die Parteistrukturen kritisch und auch die Tatsache, dass Politik mittlerweile zu einem Beruf geworden ist, den man ohne jegliche praktische Erfahrung ergreifen kann. Allerdings kritisiert er auch das Anspruchshalten vieler Bürger*innen, das ihnen über die letzten Jahrzehnte beigebracht wurde.

Politiker als Beruf, ohne Berufung

Aus Angst überaltert zu werden, nehmen viele Parteien schon seit einigen Jahren so viele junge Menschen wie möglich in ihre Kreise auf. Doch anstatt frische Ideen beizusteuern und für Bewegung im System zu sorgen, machen die es sich viel zu häufig in diversen Vorständen oder sonstigen Ämtern mit zusätzlichen Einnahmequellen bequem. Auch Finanzierung von Parteien ist ein großes Thema, ebenso die Verteilung von Fördergeldern und – noch schlimmer – das Verfallen von Fördermitteln, die dem langen Antragsverfahren zum Opfer fallen.

Unzeitgemäßer Bürokratieaufwand

Es geht also oft nicht mehr um die Sache, sondern um Machterhaltung. Damit erzählt Dirk Neubauer in „Rettet die Demokratie! Eine überfällige Streitschrift“ leider nichts Neues. Anhand vieler Praxisbeispiele aus seinem Wirkungskreis macht er deutlich, wie absurd fast alle Behördengänge sind und wie die vermeintliche Absicherung dazu beiträgt, dass am Ende trotz guter Absichten erstmal gar nichts passiert. Über Jahre hingezogenen Verfahren für diverse Neubauten, sind nach der letztendlichen Genehmigung gar nicht mehr realistisch umsetzbar, was unter anderem an der normalen Preissteigerung liegt. Der aufgeblasene Verwaltungsapparat sorgt also nicht nur für Verzögerungen, sondern auch für unnötige Gelder, die aufgebracht werden müssen, um zum fünften Mal zu prüfen, ob auf Bauplatz XY nicht doch eine seltene Krötenart lebt, die es zu schützen gilt.

Ist das wirklich übertragbar?

Er versucht sich zwar nicht als die lobende Ausnahme zu stilisieren, aber natürlich bleibt nicht aus, dass er zwangsläufig seine gelungenen Maßnahmen berichtet – wenn auch nicht ausschließlich. Man stellt sich natürlich die Frage, ob diese auch wirklich allgemeingültig und auf andere Landkreise übertragbar sind. Unterm Strich ist „Rettet die Demokratie! Eine überfällige Streitschrift“ eine anregende Aufmunterung, den Bürger*innen mehr zuzutrauen und dem Wort Demokratie, im Sinne der Herrschaft des Volkes, wieder gerecht zu werden. Die von ihm beschriebenen Umstände scheinen aber so festgefahren, dass es schwerfällt einen Anfang zu finden. Auch wenn es ihm auffallend gut gelingt, sind die beschriebenen Sachverhalte für Laien wahrscheinlich kaum nachzuvollziehen.

Seiten: 192
Verlag: Rowohlt Taschenbuch
ISBN-10: 3499007223
ISBN-13: 978-3499007224
VÖ: 21.04.2021

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