Anja Rützel – Schlafende Hunde: Berühmte Menschen und ihre Haustiere – Review
Schlafende Hunde soll man angeblich nicht wecken, die Autorin und Journalistin Anja Rützel tut es in „Schlafende Hunde: Berühmte Menschen und ihre Haustiere“ trotzdem irgendwie. Sie schreibt ja auch über Trash TV, obwohl das angeblich nur die Doofen schauen. Und darüber, gerne alleine zu sein, obwohl das doch vermeintlich unfassbar traurig und nicht empfehlenswert ist. Im Rahmen der Kiwi-Musikbibliothek, schrieb sie über die mittlerweile in die Jahre gekommene Boygroup TAKE THAT.
Obwohl man ihr vom Verlag erst den lässigen DAVID BOWIE als Thema angeboten hatte und sie damit ganz sicher mehr Streetcredibility eingefahren hätte. Aber sie hat anscheinend generell einen Hang zum Ungewöhnlichen und hält sich gerne in der Nische der Nische auf. Mit ihrem aktuellen Buch „Schlafende Hunde: Berühmte Menschen und ihre Haustiere“ widmet sie sich in zehn Geschichten berühmten Menschen und ihren Tieren, vorrangig Hunden.
Tiere sind auch nur Menschen
Menschen, die ihre Tiere wirklich lieben, neigen dazu seltsame Dinge zu tun. Dinge, die für sie normal sind, die aber auf Menschen ohne Tiere befremdlich wirken. Dazu gehört das Tier mit hoher Stimme anzusprechen, beziehungsweise generell oft und ausführlich mit dem Tier zu sprechen und sich mit der Deutung von vielsagenden Blicken, einem Bellen, Miauen oder Fiepen als differenzierte Antwort zufrieden zu geben. Auch die Angewohnheiten spontan für das Tier einen Song zu dichten und Mundgeruch stoisch zu akzeptieren gehören dazu.
Kein Leben ohne Hund
Nun sind berühmte Menschen häufig von Berufswegen von der Gesellschaft isoliert. Der dadurch freigewordene und einzunehmende Raum ist für deren Tiere dementsprechend noch größer als bei Otto Normalverbraucher. Die Neurosen und Eigenarten der bekannten TierhalterInnen sind auch meistens entsprechend ausgeprägt – zumindest wenn man davon ausgeht, dass sie mit Querdenken, Kunst oder Regieren und nicht mit dem fünften Platz beim RTL-Bachelor Bekanntschaft erlangt haben – und so kommt eins zum anderen.
Besonders die Schilderungen über den Philosophen Arthur Schoppenhauer und seinem Pudel Butz, die über den sowieso schon angenehm nihilistisch eingestellten Psychologen Sigmund Freud und seine Hündin Jofi, oder die über den Schriftsteller Michel Houellebecq und seinen Hund Clément sind kurzweilig und in ihrer Schrullenhaftigkeit kaum zu fassen. Houellebecqs Umgang mit dem Tod seines geliebten Hundes, in Form eines Gedenkraums im Rahmen einer Ausstellung, inspirierten Rützel überhaupt erst zu dem Buch.
Detaillierte Hundeliebe
Der Rechercheaufwand für das Buch muss enorm gewesen sein, für diese Buch reicht reines Interesse als Antrieb sicher nicht aus. Man könnte „Schlafende Hunde: Berühmte Menschen und ihre Haustiere“ von Anja Rützel als psychoanalytisch und detailbesessen bezeichnen. Selbst die Hundeporträts, stilvolle Aquarelle, stammen von ihr. Besonders lustig ist die latente Anerkennung und Bewunderung, die von Seiten der Autorin mitschwingt, wenn sie auffällig stark ausgeprägt, verrückte Marotten ausgegraben hat und ganz offensichtlich schon mit dem Gedanken an Nachahmung beschäftigt ist. Dass Queen Elizabeth II. (übrigens auch ausgebildete Automechanikerin) eine Vorliebe für Corgis hat, ist bekannt. Das ganze Ausmaß ist dann doch faszinierend und besonders die psychologischen Ableitungen sind in ihrem Fall bemerkenswert.
Jeder lernt anders von seinem Tier, jeder weiß eine andere Facette zu schätzen. Das Tier als Schutz vor den eigenen Ängsten, das Tier als Sprachrohr und Vermittler bei familieninternen Unaussprechlichkeiten. Gerne auch mal das Tier als Schweiger und Mutmacher. Oder eben der Klassiker; das Tier als Barometer und Warnsystem, um den wahren Kern des Charakters eines Fremden zu bestimmen. Kurzum: Wen der Hund nicht mag, den mag der Mensch meistens auch nicht und umgekehrt.
Mehr Juri, bitte
Etwas zu kurz kommen leider Anja Rützels Schilderungen über das Verhältnis zu ihrem eigenen Hund Juri, übrigens „erst“ der zweite Hund in ihrem Leben. Ihr Podenco-Mischling scheint eigensinnig und zauberhaft zu sein, die einleitende Anekdote macht Lust auf mehr. Immerhin gibt es ein Musikvideo von LÜÜL, in dem die beiden beim vertrauten Zusammensein gefilmt wurden. So der visuelle Eindruck, laut Rützel hatte Juri schon längst keinen Bock mehr und sie beschreibt die Szene als eher unangenehm und peinlich.
„Schlafende Hunde: Berühmte Menschen und ihre Haustiere“ wird TierliebhaberInnen erfreuen und ihnen die Gelegenheit bieten, sich selbst in den Geschichten wiederzuerkennen. Abschließend sei noch erwähnt, dass Donald Trump der erste Präsident der amerikanischen Geschichte ist, der ohne ein Tier ins Weiße Haus einzog. Und schon Gandhi wusste, dass man den moralischen Fortschritt und die Größe einer Nation daran messen kann, wie sie mit ihren Tieren umgehen.
Seiten: 272
Verlag: KiWi-Taschenbuch
ISBN-10: 3462052322
ISBN-13: 978-3462052329
VÖ: 05.03.2020
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