Lygo Lygophobie Artwork

Lygo – Lygophobie – Review

Manchmal ist es nur ein Gefühl. Die Bands machen schon alles richtig, aber das gewisse Etwas fehlt. Mit ihrem dritten Album „Lygophobie“ hat die Bonner Punkband LYGO nun den geheimnisvollen Ton getroffen, der ihr Album zu etwas Besonderen macht. Geschlossen wie nie stehen die drei Musiker Jan, Simon und Daniel ganz nah beisammen, alles wirkt sehr dicht und eskalierend aus einer echten Auseinandersetzung mit der Dunkelheit.

Dunkelheit im Herzen, Dunkelheit im eigenen Kopf, in den Gedanken und daraus resultierende Angst um sich und andere. Wut über sich und andere und Zweifel. Die Pandemie hat einiges davon sichtbarer gemacht, Missstände verdeutlicht und trotz Stillstand eine Bewegung angestoßen. LYGO haben alles mit Musik ummantelt und damit ihr bisher bestes Album geschaffen.

Lygo 2021 Foto von Sebastian Igel
LYGO, 2021 Foto von Sebastian Igel

Sei doch nicht, so hart mit dir selbst

Nach dem fulminanten Opener „Schockstarre“, mit dem LYGO in Windeseile alle einsacken und auf ihren Trip einstimmen, kommt schon der nächste Hit „Kein Fahrtwind“. Eine schonungslose Darstellung von Erkenntnis. Erkenntnis darüber, dass Gefühle nicht peinlich und die Verdrängung dieser sogar schmerzhaft sein kann. Nicht nur hier greifen Musik und Text perfekt ineinander. Düstere Gitarren drohen im Hintergrund, während die Drums stetig nach vorne drängen. Im Refrain eskalieren Jan und Simon gemeinschaftlich und reichen symbolisch die helfende Hand.

Selbst wenn LYGO sich politisch eindeutig positionieren, so sind ihre Themen doch schon immer andere gewesen. Dass Musik Therapie sein kann – für die, die sie machen und für die, die sie hören – ist nichts Neues. Aber auf „Lygophobie“ gehen LYGO noch einen Schritt weiter. Was ist, wenn ich alt werden oder noch schlimmer, wenn ich gar nicht erst alt werden kann („Altersheim“)?.

Und was sind meine Probleme im Vergleich zu denen von anderen („Uwe, Erdgeschoss links“). Was macht mich eigentlich glücklich und was bedeutet diese geheimnisvolle „hoch hinaus“ denn wirklich („Warmes Bier und kalter Kaffee“). LYGO haben ihren ganz eigenen sprachlichen Stil entwickelt und nun manifestiert. Das Label wie die üblichen Verdächtigen zu klingen, ist verblasst, abgeknippelt und kaum noch lesbar. Das sind LYGO pur, das hört und erkannt man jetzt sofort.

Meine Leiden sind gar nicht wichtig

Wenn LYGO im „Fight Club“ ungebremst und blind vor Zorn nach vorne stürmen, hört man deutlich, wie sie sozialisiert wurden. Sie erzählen uns zwei Geschichten in einer, einmal rational mit Worten und einmal emotional mit Takt und Tönen. Das merkt man an vermeintlichen Kleinigkeiten. Wenn der Gesang den Takt bricht, um den Versuch Lautstärke über Argumente zu stellen zu verdeutlichen, oder wenn der Song angezählt in ein Post-Rock-Finale taumelt. Kaum merkbar ist man bei „Uwe, Erdgeschoss links“ gelandet. Kaum merkbar geht blinde Wut in Realität und im besten Fall in bittere Erkenntnis über.

Musikalisch sind die Drei komplett aufeinander eingespielt, die Übergänge von laut zu leise sind scheinbar nahtlos und der doppelte Gesang deckt immer die richtigen Nuancen ab. Man merkt aber auch, dass sie in Ermangelung von einem lebendigen Bandumfeld in Bonn, sich ihre eigenen Gedanken machen mussten.

Transferieren nennt man das und ein Gespür dafür hat man oder eben nicht. LYGO haben es, das ist unfassbar viel wert. Während sie in manchen Momenten Fragmente von norddeutschen Punk aufweisen, klingen sie in „Warmes Bier & kalter Kaffee“ wie TOUCHÉ AMORÉ oder KIDS INSANE zu ihren besten Zeiten.

„Und wir lassen uns fallen…“ rufen LYGO laut, stoßen uns in einen Takt, zu dem man herrlich pogen und gleichzeitig heulen kann. Im Prinzip ist das das heimliche Mantra von „Lygophobie“, einfach fallenlassen. Gehört auf meine Highlight-Liste 2021, gerade weil LYGO zwar einige Zeilen parat haben, die zum Denken und Reflektieren anregen, aber niemals zum Ende kommen und stattdessen immer die versöhnliche Erkenntnis bleibt, dass es mindestens zwei Auswege gibt.

Dauer: 41:44
Label: Kidnap Records
VÖ: 29.10.2021

Tracklist „Lygophobie“ von LYGO
Schockstarre
Kein Fahrtwind
Zusammen Im Bett
Fight Club
Uwe, Erdgeschoss Links
Auf Deine Bitte
Warmes Bier & Kalter Kaffee
Feuerzeug
Kommentarspalte
Altersheim
Ufer
13 Stunden Schlaf

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