Lest die Review zu "Paradiesische Zustände" von Henri Maximilian Jakobs bei krachfink.de

Henri Maximilian Jakobs – Paradiesische Zustände – Review

Mit „Paradiesische Zustände“ legt der Musiker, Schauspieler und Autor Henri Maximilian Jakobs seinen ersten Roman vor. Behutsam und verpackt in schmerzhafte, aber auch lustige Episoden, begleiten wir die Hauptfigur durch die Transition. Der Zustand des trans*Seins ist nicht von Anfang an präsent, viel eher festigt sich nach und nach das Bewusstsein, dass sich hier etwas nicht richtig anfühlt.

Der Körper passt nicht wirklich und auch das Wort Frau klingt in der Ansprache falsch, was dazu führt, dass Johann nicht nur gerne so wenig wie möglich von sich zeigt, sondern auch selbst so wenig wie möglich selbst davon sehen möchte. Seine Freundin Louise steht an seiner Seite, muntert ihn und fängt ihn in unsicheren Momenten auf. Allerdings schweigen sie erst n den entscheidenden Momenten, natürlich auch, weil Johann seine Emotionen anfangs selbst nicht einordnen kann.

Möglichst unsichtbar bleiben

Die Geschichte in „Paradiesische Zustände“ ist auch nah am tatsächlichen Leben von Henri Maximilian Jakobs, wo genau die Grenzen von Fiktion und Wirklichkeit verschwimmen, ist unklar. Der Titel des Buches ist mit Sicherheit weniger zynisch gemeint, als er anmutet und spielt wahrscheinlich auch auf Adam und Eva an, deren Geschichte im Paradies das binäre Denken der Geschlechterrollen maßgeblich prägt. Am Leben von Johann in „Paradiesische Zustände“ von Henri Maximilian Jakobs ist nichts paradiesisch, wie übrigens bei den wenigsten anderen Menschen.

Nach einem Schauspielstudium in der bayrischen Provinz, verschlägt es ihn in eine Pseudo-Hipster-Wurstbude in Berlin. Sein Chef ist ein egoistischer Macho, was Johann zumindest eine gewisse Unsichtbarkeit und Nichtbeachtung zusichert. Zumindest so lange, bis der Chef auf den Trichter kommt, dass vorgespielte Akzeptanz auch etwas ist, mit dem man sich als cool schmücken kann. Momente, in denen Johann tatsächliche Unterstützung bekommt, gibt es auch, wenn sie viel zu rar gesät sind. Dabei wäre es ein Leichtes, bürokratische Hürden oder unangenehme Fragen zu vermeiden und damit auch daran anschließende Verwundungen zu vermeiden. Und häufig steht Johann auch Ängste aus, die vollkommen unbegründet sind, weil viele Menschen eben doch aufgeklärt und empathisch sind.

Schritt für Schritt zur Ruhe

Jedes Kapitel endet mit einer Zeitangabe, die herunterrechnet und mit einer (für ihn) entscheidenden Operation und einem „Los!“ endet. „Paradiesische Zustände“ ist deutlich weniger theoretisch als „All die brennenden Fragen, Ein Gespräch über Transerfahrungen“, das Buch, das Henri Maximilian Jakobs zusammen mit Christina Wolf geschrieben hat. Über seine eigene Transition gibt es auch einen interessanten Podcast. Jakobs trägt also ziemlich viel dazu bei, indem er seine Diskriminierungserfahrungen aber auch seine neu gewonnene Freiheit für andere öffentlich macht, dass der Weg für andere Menschen zukünftig leichter werden könnte.

Rot, Weiß oder Schranke?

Der Humor von „Paradiesische Zustände“ von Henri Maximilian Jakobs wird auf dem Klappentext als überbordend beschrieben. Genau genommen bedeutet das nämlich „über das erträgliche Maß hinausgehend„. Und das ist der bittere Unterton, der dem Roman Tiefe verleiht, den man als unsensibler Mensch aber auch ebenso überlesen kann. Es wird deutlich, dass (schwarzer) Humor ein wichtiger Faktor beim Überleben ist, aber so einige humorvolle Beschreibungen bleiben einem trotzdem im Hals stecken. Wenn Johann von einem Therapieaufenthalt nach einem Selbstmordversuch und den Ängsten schreibt, die er in für die meisten komplett unverfänglichen Alltagssituationen ertragen muss, kann man nur erahnen, wie sich so eine Lebensphase anfühlt.

Wahrscheinlich ist es ein bisschen wie mit dem Artwork des Buches: Die Pommes sehen lecker aus, außerdem liebt doch jeder Pommes. Außer über die Frage, ob Ketchup, Mayo oder Schranke, gibt es hier doch wirklich rein gar nichts zu diskutieren, oder? Aber am Ende stören der grelle Filter über dem Bild und die verzerrte Wahrnehmung doch den Genuss, machen das Harmlose kompliziert und anstrengend.

Seiten: 352
Verlag: Kiwi Verlag
ISBN-10: 346200428X
ISBN-13: 978-3462004281
VÖ: 07.06.2023

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