Alina Bronsky – Barbara stirbt nicht – Review
Mit „Barbara stirbt nicht“ legt die Autorin Alina Bronsky einen Roman vor, den man leicht unterschätzen kann. Es geht um den Rentner Herr Schmidt, der von der Tatsache, dass seine Ehefrau Barbara sich plötzlich nicht gut fühlt und er auf sich alleine gestellt ist, total überrumpelt wird. Bronsky nennt ihn „einen Mann der alten Schule“, was letztendlich bedeutet, dass er schon mit der Zubereitung eines Kaffees komplett überfordert ist, ein überholtes Weltbild im Hinblick auf Frauen, Kommunikation und sehr viele typische Vorurteile gegenüber der Welt hat. Dass er in die Situation kommen könnte, für sich selbst sorgen zu müssen und noch dazu die Verantwortung für seine Ehefrau hat, war bisher für ihn undenkbar.
Vom Kaffeekochen und Selbstdenken
Alina Bronsky stellt Herrn Schmidt in ihrem Roman „Barbara stirbt nicht“ als sehr unbeholfen, als schon fast nicht lebensfähig dar. Anfangs wirkt das überspitzt, schon beinahe etwas albern. Doch je weiter die Geschichte fortschreitet, umso deutlicher wird, warum genau Herr Schmidt so geworden oder besser gesagt so geblieben ist. Lautes Schweigen hat Gräben geschaffen, zwischen ihm und seiner Frau. Der Unterschied zwischen Liebe und Gewohnheit ist nicht eindeutig zu definieren. Und wer jetzt genau daran schuld ist, dass alles so wurde, auch nicht.
Fremden gegenüber ist Herr Schmidt allerdings überhaupt nicht verhalten, äußert ständig und überall genau das, was er denkt. Das sorgt dafür, dass „Barbara stirbt nicht“ trotzdem ein lustiger Roman ist. Die Krankheit der Ehefrau steht nicht ständig im Mittelpunkt, selbst als Leser*in akzeptiert man den Zustand einfach irgendwann. Und Herr Schmidt lernt schnell, eigentlich sich den Umgang mit dem Internet an, knüpft Kontakte und bekommt einen Blick für Dinge in seinem direkten Umfeld, die ihm vorher verschlossen waren. Die Tatsache, dass er sich trotz seiner massiven Unbeholfenheit als der unumstößliche Boss fühlt, ist gleichermaßen amüsant wie traurig.
Zwischen Mitgefühl und Widerwillen
Etwas störend ist allerdings, dass wir alles aus der Sicht von Herrn Schmidt erleben und deshalb manches nicht aufgelöst wird und auch für uns unausgesprochen bleibt. Was genau zwischen ihm und seinen Kindern geschehen ist, können wir nur erahnen. Hier wären einige Rückblicke schön gewesen. Auch die Sympathie gegenüber Herrn Schmidt schwankt. Manches Mal findet man seine Gedanken erfrischend ehrlich, an anderen Stellen denkt er sehr verletzend und egoistisch. Was „Barbara stirbt nicht“ von Alina Bronsky letztendlich doch interessant macht, ist die Erkenntnis, dass man nicht immer alle Menschen umdrehen und von der eigenen Ansicht überzeugen muss. Wer ein guter Mensch ist, ergibt sich manchmal einfach so und manchmal eben auch einfach nicht.
Seiten: 256
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
ISBN-10: 3462000721
ISBN-13: 978-3462000726
VÖ: 09.09.2021
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