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Dana Buchzik – Warum wir Familie und Freunde an radikale Ideologien verlieren – und wie wir sie zurückholen können – Review

Die Autorin Dana Buchzik weiß genau, wovon sie schreibt, wenn sie einen so mächtigen Buchtitel wie „Warum wir Familie und Freunde an radikale Ideologien verlieren – und wie wir sie zurückholen können“ verwendet. Sie ist selbst in einer Sekte aufwachsen und schon sehr lange in der Aufklärung zu den Themen Hass, radikale Ideologien und auch Verschwörungserzählungen tätig, unter anderem für die Bertelsmann-Stiftung und die Friedrich-Ebert-Stiftung.

Diese enorme Erfahrung und die eigene Geschichte sind hilfreich, allerdings geht sie auch grundsätzlich vom Schlimmsten aus und kann bei ihren Tipps die einzelnen Individuen auch nicht alle berücksichtigen. Tragisch ist das nicht wirklich, denn in erster Linie geht es darum, die Tricks der Verführer und Verführerinnen zu erkennen und zu bemerken, dass sich die Mechanismen immer gleichen.

Es kann jeden treffen

Besonders wichtig ist die Erkenntnis, dass es jede Person, in jedem Alter und jeder Situation treffen kann. „Warum wir Familie und Freunde an radikale Ideologien verlieren – und wie wir sie zurückholen können“ verdeutlicht, dass die häufig überhebliche Haltung, selbst schlau genug zu sein, um niemals einer radikalen Gruppe in die Hände zu fallen, nicht angebracht ist. Auch die betroffenen Menschen grundsätzlich zu verurteilen und abzustempeln, ist für beide Seiten nicht sinnvoll.

Die Muster erkennen

Die schrittweise Isolation, der Aufbau von Parallelgesellschaften, das gezielte Ausnutzen von besonders fragilen, emotionalen Zuständen oder der rasche Aufbau von vermeintlichem Status und Macht, all das führt dazu, dass man unbemerkt fremdgesteuert wird, sich der Radikalisierung nicht bewusst ist und dementsprechend erstmal keinen Handlungsbedarf bei sich selbst sieht. Feindbilder, wie im Falle von Hitler oder Zschäpe, zu personalisieren, mag zwar für die mediale Berichterstattung und deren Reichweite hilfreich sein, sorgt aber dafür, dass man sich leichter distanzieren und keinen direkten Bezug zur eigentlichen Gefahr herstellen kann.

Die Warnsignale erkennen

Dana Buchzik geht auch auf die Versäumnisse von zuständigen Behörden und Politik ein. Die grundsätzlichen Früherkennungssignale werden nicht rechtzeitig und nicht ausreichend kommuniziert, stattdessen wird eher ignoriert und geschwiegen. Dabei gibt es eine überschaubare Liste von Fakten, die einen Vorgang eindeutig als radikal kennzeichnen. Das wird im Buch sehr gut erklärt.

Natürlich hat die Autorin mit „Warum wir Familie und Freunde an radikale Ideologien verlieren – und wie wir sie zurückholen können“ bewusst das große Interesse bedient, dass bedingt durch Querdenkerinnen, Querdenker und aktuell schamlos zur Schau getragene Verschwörungsmythen vorhanden ist. Aber grundsätzlich geht es um radikale Ideologien generell und das Erkennen der Muster.

Fallbeispiele sind eher individuell

Die angeführten Fallbeispiele sind mitnichten universell anwendbar, schon gar nicht, wenn die Situation bereits heikel ist und schon länger andauert. Und manche Tipps sind einfach Käse. Es wird sinngemäß empfohlen, sollte der Verdacht der Radikalisierung bei einer Kollegin oder einem Kollegen bestehen, in der Pause oder außerhalb der Arbeit die anderen aus dem Kollegium darauf anzusprechen und sich (hinterm Rücken der betroffenen Person) zu verbinden. Das ist nicht per se ein guter Vorschlag, da das je nach Absender und Empfänger ganz schön in die Hose gehen kann. Auch Formulierungen wie „Ich höre, dass du eine intelligenter Mensch bist. Wenn du andere wirklich erreichen willst, musst du die Holocaust-Vergleiche außen vorlassen“ im Rahmen eines geglückten Einzelbeispiel anzuführen, halte ich für bedenklich, eventuell sogar kontraproduktiv.

Grundsätzlich weiß Dana Buchzik sehr gut über den Aufbau und die Entstehung von radikalen Ideologien Bescheid. Aber auch sie scheitert an der Tatsache, dass alle Menschen unterschiedlich sind, eigene Geschichten haben und manchmal sogar selbst nicht erklären könnten, was sie dorthin gebracht hat. Das Buch bietet also leider keine Allroundlösung, dafür aber die Möglichkeit das Frühwarnsystem zu schärfen. Wenn einer der Tipps bei einem konkreten Fall zieht, umso besser.

Seiten: 256
Verlag: Rowohlt
ISBN-10: 3499007460
ISBN-13: 978-3499007460
VÖ: 25.01.2022

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