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Ruth-Maria Thomas – Die schönste Version – Review

Entgegen der Attribute Mitgefühl, Fürsorge und Liebe, die der auf dem Klappendeckel dominierenden Farbe Rosa zugeschrieben werden, ist „Die schönste Version“ von Ruth-Maria Thomas ein heftiges, eher dunkles Buch. Jella und Yannick sind ein ungleiches Paar, gemeinsam erleben sie in einer ostdeutschen Kleinstadt in den Nullerjahren offensichtlich eine große Liebe miteinander, ziehen sogar zusammen. Ziemlich schnell wird klar, dass die beiden aber als Paar nicht die beste Version von sich sind. Wir erleben „Die schönste Version“ aus der Sicht von Jella, springen mit ihr zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Nach und nach wird klar, wie Jella in diese Abwärtsspirale geraten ist und an welchen Stellen sie selbst die Schrauben enger gezogen hat.

Ein Tanz in den Scherben

Ruth-Maria Thomas verschont ihre Leserinnen und Leser in „Die schönste Version“ nicht, beschreibt auch die erotischen und unangenehmen Stellen mit einem erschreckend geschärften Blick für Details. Die Autorin ist auch Mitgründerin des erotischen Literaturmagazins Hot Topic! und studierte am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Man merkt, dass sie ihr Handwerk versteht und vor allem vielfältig Erfahrungen mitbringt. Nachvollziehbar und in vielen Momenten schmerzhaft, beschreibt sie Frauenbilder der Millennials und Generation Z, die sich die Mädchen aus der Popkultur, hartem Gangsterrap, dem dysfunktionalen Elternhaus und dem Verhalten der Jungs zusammenreimen.

Gewalt kommt selten über Nacht und schon gar nicht aus dem Nichts

Ohne sich dessen bewusst zu sein, stellen sie auf der Jagd nach dem falschen Ideal ihre tatsächlichen Emotionen hintenan. Den Jungs geht es nicht anders, deren Perspektive und Druck wird nicht so intensiv beleuchtet, aber so tief angerissen, dass man den Faktor als wesentlich erkennen kann. Dazu empfiehlt sich vielleicht „Nullerjahre“ von Hendrik Bolz, der für Thomas‘ Buch auch einen lobenden O-Ton abgegeben hat. Und besonders die Szenen, in denen sich die Jugendlichen dann auf der Suche begegnen, machen klar, welches zerstörerisches Verhalten daraus resultiert. Im Falle von Jella und Yannick endet es dann damit, dass Yannicks Hände ihren Hals zudrücken.

Über Scham und Schweigen bis hin zur Empanzipation

Eine Eskalation, die nicht überraschend kam, die die beiden aber immer wieder verdrängt und relativiert haben. Seite für Seite lesen wir also mit, wie Jella versucht „Die schönste Version“ von sich zu sein und kaum bemerkt, wie sie sich dabei verbiegt und ihr Inneres aus dem Gleichgewicht gerät. Man kann Ruth-Maria Thomas gut folgen, auch die Hilflosigkeit der Eltern und die Scham, die einen häufig davon abhält sich mit anderen zu besprechen oder Dinge sogar vor sich selbst einzugestehen, bringt sie treffend auf den Punkt. Ebenso wie die hässlichen Emotionen wie Wut, Neid und Eifersucht, die wir alle in uns tragen.

Das Ende beschreibt zwar den Höhepunkt der Gewalt, aber der Weg dahin ist fast genauso schlimm und durchweg bedrohlich. Gleichzeitig erleben wir aber auch mit, wie Jella sich emanzipiert und es schafft Begierde und Abgründe in Einklang mit ihrem Selbstwert zu bringen.Ein starkes Buch, das klar macht, dass Gewalt selten über Nacht kommt und schon gar nicht aus dem Nichts.

Seiten: 227
Verlag: Rowohlt Verlag
ISBN-10:  3498006959
ISBN-13: 978-3498006952
VÖ: 16.07.2024

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