Lest die Review zu "All die brennenden Fragen, Ein Gespräch über Transerfahrungen" von Henri Jakobs und Christina Wolf bei krachfink.de

Henri Maximilian Jakobs mit Christina Wolf – All die brennenden Fragen, Ein Gespräch über Transerfahrungen – Review

Der Musiker, Schauspieler und Autor Henri Maximilian Jakobs hat gemeinsam mit seiner guten Freundin, der Moderatorin und Autorin Christina Wolf, das Buch “All die brennenden Fragen – ein Gespräch über Transerfahrung” geschrieben. Es ist gleichermaßen beruhigend wie er erschreckend, dass das Buch in übersichtlichen 167 Seiten schon alles Wesentliche zusammenfasst. Beruhigend deshalb, weil damit eindrucksvoll entkräftet wird, dass es anstrengend und aufwendig wäre, trans sein zu verstehen und daraus einen respektvollen Umgang mit seinen Mitmenschen abzuleiten.

Wer verstehen möchte, wird sich nach dieser Lektüre sicherer fühlen. Erschreckend ist es deshalb, weil trotz dieser überschaubar und leicht einzudampfenden Botschaft – Lass doch einfach die Menschen ihr Leben selbst gestalten und bestimmen und setze nicht überall deinen vom System beeinflussten Maßstab an! – trans Menschen einen wahren Spießrutenlauf veranstalten müssen und die politischen Rahmenbedingen zwar besser, als bei Weitem noch nicht optimal sind.

Bei wem brennen die Fragen wohl mehr?

Henri Maximilian Jakobs ist selbst trans, im Rahmen des empfehlenswerten Podcasts “Transformer”Henri ist es wichtig zu vermitteln, dass dieser Titel nicht seine Idee war – hat ihn Christina Wolf schon 2018 bis 2019 bei seiner Transition begleitet. Schnell wird klar, dass der Titel “All die brennenden Fragen – ein Gespräch über Transerfahrung” zweierlei interpretierbar ist. Zum einen gibt es bei Menschen, die bisher keine oder wenig Berührungspunkte mit trans haben, viele offene Fragen. Manche sind berechtigt, die meisten aber übergriffig, respektlos und immer wieder von alten Mustern getrieben. Viel wichtiger ist der Zusatz “brennend”, denn was andere brennend interessiert, sind für Henri Fragen, die ihn in seinem Prozess zurückwerfen, schmerzhaft sind oder ihn emotional verletzten.

Keine Ahnung warum, aber ganz offensichtlich empfinden heteronormativ lebende Menschen ihr Dasein oft als so übermächtig, dass sie selbstverständlich davon ausgehen, bei anderen Grenzen überschreiten zu dürfen. Und so berichtet Henri vom zufälligen Zusammentreffen mit einer eigentlich Fremden, die ihn nach wenigen Sätzen eindeutig nach der Größe seines Geschlechtsteils fragt. Ja, cool. Und bei dir so?

Auf dem Weg, aber noch nicht schnell genug

Dass trans Menschen bis vor einigen Jahren noch ganz selbstverständlich zwangssterilisiert wurden, ist eine traurige Tatsache. Mittlerweile zwar per Gesetz verboten, aber die vielen Schicksale, die dahinter stehen, leben weiter mit diesem furchtbaren Trauma. Es hat sich einiges getan, in den letzten Jahren. Dass TERFS (trans excluding radical feminist), Konservative und Nazis sich an einer Minderheit abarbeiten, ist bitter, aber erwartbar. Als die trans Frau Ella sich auf dem Alexanderplatz in Berlin selbst wortlos mit Benzin übergossen und angezündet hat, kursierten kurz danach – durch ein Fehlverhalten des Krankenhauses – über eine WhatsApp-Gruppe Fotos ihrer Leiche. Der öffentliche Aufschrei blieb aus. Dabei geht es genau darum, sich nicht nur dumme Fragen zu verkneifen, sondern an der Seite von Menschen zu stehen, die trans sind. Macht den Mund auf, wenn dumme oder verachtende Sprüche kommen!

Der falsche Zeitpunkt und das falsche Verhältnis

“All die brennenden Fragen – ein Gespräch über Transerfahrung” von Henri Maximilian Jakobs und Christina Wolf ist zwar ein informatives, aber kein belehrendes oder kompliziertes Buch, sondern ein die Hände reichendes und in manchen Momenten sogar lustiges Werk. Auch das ist ein wesentlicher Bestandteil der Botschaft: Nicht alle, die trans sind, führen automatisch ein bemitleidenswertes, trauriges Leben. Im Gegenteil, sie würden mit hoher Wahrscheinlichkeit ein ruhiges und beschauliches führen, wenn sie Behörden und unsensible Menschen nicht dauernd als “anders” brandmarken würden. Henri bringt es in dem Buch gut auf den Punkt, indem er schreibt, dass es eigentlich fast keine falschen Fragen gibt, sondern der Zeitpunkt und das Verhältnis der Gesprächsteilnehmer stimmen muss.

In “All die brennenden Fragen – ein Gespräch über Transerfahrung” kommen auch Menschen zu Wort, die sich als non-binary, genderfluid oder ebenfalls trans definieren und über die gleichen Fragen, ihre ganz individuelle Situation darstellen. Wer sich nicht traut zu fragen, kann über dieses Buch vieles erfahren und damit beitragen, dass Henri und alle anderen ihrem eigentlichen Ziel ganz schnell näherkommen: Einfach in Ruhe ihr Leben zu leben, so wie sie es möchten.

Seiten: 167
Verlag: Katalyst Verlag
ISBN-10: 3949315284
ISBN-13: 978-3949315282
VÖ: 18.08.2020

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