Leatherette – Small Talk
Mit ihrem neuen, zweiten Album “Small Talk” liefert die italienische Post-Punk-Band LEATHERETTE genau das Gegenteil des Albumtitels. Denn auf die Frage nach dem Befinden und ihrer Meinung zum aktuellen fuck-up-Level der Welt antworten sie ausführlich und äußerst präzise, wenn auch in Töne und Songtexte transferiert. Die fünf Musikern agieren erneut fernab jeglicher Standards, hüpfen zwischen den Jahrzehnten hin und her, lassen aufgebaute Arrangements aus dem Nichts platzen oder komplett eskalieren.
Das ist angenehm elektrisierend, tanzbar und trotz aller Wildheit auch immer nachvollziehbar. Vorausgesetzt man möchte von Musik berührt und vitalisiert werden und stellt sich einen Zusammenstoß von SONIC YOUTH und Jazz spannend vor.
Über die desolaten Zustände in den Herzen der Gesellschaft
Fernab von den Erwartungen, die man an einen Song namens “Isolation” hat, pumpen LEATHERETTE diesen vom Fleck weg prall auf und verzichten auf Tristesse. Sie versetzen uns in einen nervösen Spannungszustand, bis sie dann kurz vorm Bersten bestimmen, langsam das Tempo herauszunehmen und Luft abzulassen. Die damit urplötzlich eingekehrte Ruhe findet auf “Small Talk” auch immer wieder entsprechend Platz. “It’s a small talk, in a small world” fassen LEATHERETTE im anschwellenden und sich dann selbst auflösenden “Fade Away” zusammen.
Eine starke, wenn auch beinahe beiläufige und von einem Popsong abgewandelte Zeile, die so auch von FONTAINES D.C. stammen könnte und deren Melancholie nicht schwer auf die Schulter drückt, sondern tröstend auf dieselbe klopft. LEATHERETTE gelingt es auf “Small Talk” noch besser, die desolaten Zustände in den Herzen der Gesellschaft greifbar zu machen und so zu sezieren, dass sich daraus im Anschluss etwas Tröstliches ableiten lässt.
Stell dir vor, alle manchen small talk, aber gleichzeitig
Auch SHAME reihen sich in Liste der Bands ein, an die LEATHERETTE mit “Small Talk” locker heranreichen können. Schwermut, Desillusion und Zukunftsängste sind wohl international. Trotzdem ist die Ausdrucksform von LEATHERETTE noch einen Hauch anders, scheinen sie doch weniger beeinflusst von allen britischen Post-Punk-Hypes der letzten fünf Jahre zu sein. Ihre häufig aus dem Nichts aufblitzenden Harmonien sind bemerkenswert anders, fast italo-poppig und reißen den Kontrast aus Depression und Manie noch größer auf.
Harmonisches Chaos
Es gibt einige gelöste Songs, in denen LEATHERETTE einfach nur Gas geben und auf den gewissen Dreh setzen (“Spying On The Garden”, “The Ugliest”). Das sind die hittigen Momente von LEATHERETTE, auf die sie durchaus Wert legen. Da sie selbst dann noch so klingen, als ob die Band ein Puppentheater und dessen Orchester gecrasht hat, bleibt es weiterhin außergewöhnlich. LEATHERETTE wirken auf ihre ganz eigene Art harmonisch und gleichzeitig oft so, als ob die einzelnen Instrumente in Konkurrenz miteinander stehen und sich gegeneinander stemmen.
Im Vergleich zum ersten Album Debüt “Fiesta”, ist deutlich mehr Dynamik in die Kompositionen gekommen. “Bleibt echt zu hoffen, dass sich niemand wagt, LEATHERETTE nur den Post-Punk-Stempel aufzudrücken“, so stand es in der krachfink.de Review damals. Und alleine die Tatsache, dass die Referenzbands nun ganz andere geworden sind, untermauert die vage Ahnung von damals, dass LEATHERETTE viel mehr können und besonders sind.
“Small Talk” ist jetzt ein vertontes Manifest dafür, dass unterschiedlich laute und verschieden artikulierte Meinungen mit viel Mühe doch miteinander harmonieren können. Zumindest in der Musik… Ein bemerkenswertes Album, von einer Band mit massig Potential.
Dauer: 38:42
Label: Bronson Recordings
VÖ: 03.11.2023
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