Linus Giese – Ich bin Linus: Wie ich der Mann wurde, der ich schon immer war – Review
Es dauerte 31 Jahre, bis der Autor Linus Giese den Satz: „Ich bin Linus: Wie ich der Mann wurde, der ich schon immer war “ laut aussprechen konnte, bis ihm klar wurde, dass er trans ist. In diesem Roman erzählt er uns seine Geschichte, von seinen vielen Erfolge, die er schon erzielt hat und natürlich auch von dem Unverständnis und der puren Dummheit, die ihm von manchen entgegengebracht wird. Und falls sich jetzt jemand fragt, warum man ein Buch über einen Menschen lesen soll, der trans ist, obwohl man doch selbst „ganz normal“ ist… genau deshalb, wer definiert denn, was normal ist? Linus gibt uns die Gelegenheit zu verstehen und zu lernen.
Linus Giese beschreibt in „Ich bin Linus: Wie ich der Mann wurde, der ich schon immer war“ seine eigene Zerrissenheit und das Gefühl, lange nicht zu wissen, was und wer er ist und schon gar nicht was und wer er gerne sein möchte. Offen erzählt er über seine Probleme, die ihm der vermeintlich banale Alltag bereitet. Das fängt beim Ausfüllen von Formularen und der Geschlechterfrage an, geht über die nicht richtige Ansprache und endet mit bösem Stalking und Hetze, die ihren Weg aus dem Internet in sein tatsächliches Leben findet.
Wann ist ein Mann ein Mann?
Linus wirkt zwar zerrissen, aber auch sehr klar und klug reflektiert. Im Gegensatz zu anderen Menschen, die schon von Kindesbeinen an klar für sich bestimmen können trans zu sein, weiß er sehr lange nicht, was mit ihm los ist. Die Zeit bis dahin empfindet er manchmal als verloren. Mit seinem Buch gibt er dem Thema Sichtbarkeit und anderen Betroffenen Orientierung. An dieser Stelle möchte ich gerne auf den Podcast „Fake it ‚til you make it“ von Thorben hinweisen! Auch Linus geht ausführlich auf OP-Möglichkeiten ein, betont aber auch, dass es nicht das Ziel jedes trans Mannes ist, so lange unterm Messer zu liegen, bis er wie ein cis Mann aussieht. Bill Kaulitz, Billy Porter oder Conchita Wurst demonstrieren eindrucksvoll, dass es unterschiedliche Vorstellung von Männlichkeit gibt. Alle werden davon profitieren, wenn wir es schaffen, die Vorstellung von starren Geschlechterrollen zu überwinden. Es geht nicht nur um Linus, sondern um uns alle.
Jeder macht einen Schritt nach vorne
„Ich bin Linus: Wie ich der Mann wurde, der ich schon immer war“ schließt mit einer Art Begriffskunde und räumt hier mit vielen Vorurteilen auf. Besonders wichtig finde ich die Feststellung, dass trans Menschen nicht zur allgemeinen Aufklärung verpflichtet sind. Niemand hat die Pflicht uns so lange sein intimes Seelenleben zu entblößen, bis wir den Sachverhalt als plausibel genug empfinden, um ihn annehmen zu können. Es geht um Akzeptanz und Toleranz, grundsätzliche Eigenschaften, die für ein respektvolles Miteinander sowieso unverzichtbar sind. „Ich bin Linus: Wie ich der Mann wurde, der ich schon immer war“ ist empfehlenswert für alle, die daran interessiert sind.
Seiten: 224
Verlag: Rowohlt Taschenbuch
ISBN-10: 3499003120
ISBN-13: 978-3499003127
VÖ: 18.08.2020
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