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Dissy – Anger Baby – Review

DISSY war schon immer anders und auch sein zweites Album „Anger Baby“ wird daran nicht wirklich rütteln, auch wenn er vage Zweifel äußert. Zweifel darüber, ob die Erfindung des bösen Alter-Egos Fynn eine gute Idee war und ob man manches nicht einfach abschütteln sollte, weil man sich ansonsten immer wieder selbst ins dunkle Loch schubst.

Obwohl der Thüringer fest im Hip Hop verankert ist, hat er doch seine ganz andere Art, die Grenzen zu definieren und immer wieder zu übertreten. Ohne sich umzudrehen, wohlgemerkt. Was DISSY macht, ist Kunst, das schnallt man spätestens dann, wenn man seine ultrakreativen Videos gesehen hat und zu den Beats von Kidney Paradise mit dem Kopf wippt.

DISSY, 2022 Credit Fritz Elsmann

Für uns macht er sogar Cringe

DISSY hat auch auf „Anger Baby“ nicht den Anspruch, dass ihn möglichst viele Menschen verstehen. Die Atmosphäre des Albums bestimmt alles und einer guten popkulturellen Referenz ordnet er gerne die Massenkompatibilität unter. Wer genau hinhört, entdeckt vieles. In jedem Song hat er Treppenwitze und Anspielungen versteckt, ohne dabei verkrampft zu wirken. So manche Punchline schnellt mit Vollgas davon, man schaut ihr grinsend nach. Im nächsten Moment kommt sie aber mit der Wucht eines Bumerangs schmerzhaft zurück ins eigene Gesicht.

DISSY steht ohne Frage für Entspannung, aber auch für eine scharfsinnige Beobachtungsgabe. Er kriegt einiges mit, schluckt nichts ungefragt und formuliert uns die Gesellschaftskritik so lässig, dass man sie sogar genießen kann („Arbeit“).

DISSY bietet mehrere Ebenen an

Wie bei den richtig guten Geschichten bietet uns DISSY auf „Anger Baby“ in fast jedem Song mehrere Ebenen an. Man kann zu „Zukunft“ einfach tanzen und ihn als den positiv gestalteten Höhepunkt annehmen, der er eben ist. Dahinter steht der schwere Druck, den vorherige Generationen auf den Schultern der jungen Menschen abladen und die damit verbunden Angst und der Wunsch nach Betäubung, der dadurch entsteht.

Und genau diese Lethargie liegt über dem Beat, der sich wie eine Schutzschicht um den defensiv anklagenden Text legt: „Und jetzt willst du so tun, als wären wir die Zukunft?! Denn wir sehen gerade echt beschissen aus…“ Lines wie diese tun weh und zeigen wie leicht man es sich mit dem „Wir haben echt Scheiße gebaut, aber hey ihr kommt schon klar, Ciao!“-Getue macht.

Sanfter Widerstand

DISSY ist sich bewusst über die Erwartungshaltungen der Szene („Malibu Skit“), seine Herkunft und seinen sogenannten Trademarks („Sexy Depression“), die von außen als leicht depressiver und in sich gekehrter Außenseiternerd definiert werden. Abfinden sich er sich mit nichts davon und ohne aufgesetzt zu wirken, deutet er an, dass er einiges verstanden hat und in Zukunft anders machen könnte. Dass er jegliche kreative Fähigkeiten dazu schon besitzt, hat er in den letzten Jahren mehrfach bewiesen.

Bezug auf seine bisherigen Veröffentlichungen („Muss Los“) nimmt er massig. Weil er es kann und weil er sein Schaffen als Gesamtkunstwerk wahrnimmt. Als eines, das wachsen kann, Fehler machen und Risse haben darf.

Neue Wege, gute Wege

Das abschließende „Zurück“ wirkt fast wie ein sanft wiegendes Lullaby und DISSY scheint sich selbst beruhigen zu wollen. Der Text wirkt wie ein Zwiegespräch, ein Verzeihen und versöhnliches Loslassen. „Wenn ich mich selbst verstehe, versteh ich auch den Rest…“, klingt so, als ob DISSY ein neues Kapitel aufschlagen kann, es wird mit Sicherheit ein gutes sein.

Während Hip-Hop-Deutschland noch aufgeregt darüber diskutiert, ob es im Rahmen der Kunstfreiheit in Ordnung ist, einen auf dicke Hose zu machen, unreflektiert über respektlosen Umgang mit Frauen zu singen oder geschmackslose, geschichtsvergessene Vergleiche zu ziehen, gibt es schon längst Künstlerinnen und Künstler, die damit abgeschlossen haben und die Musik ganz anders interpretieren. DISSY ist einer von ihnen, sein Album „Anger Baby“ der erste Höhepunkt seiner Karriere.

Dauer: 36:05
Label: Corn Dawg / Virgin Music
VÖ: 24.03.2022

Tracklist „Anger Baby“ von DISSY
TUNICHTGUT
MUSS LOS
MUSS LOS EPILOG
DRAG & DROP
ARBEIT
CRINGE
FAIR ENOUGH
SEXY DEPRESSION
L’AMOUR TOUJOURS
ZUKUNFT INTERLUDE
ZUKUNFT
MALIBU SKIT
POSTAPOKALYPSE
KREIS
ZURÜCK

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