van-holzen-aus-der-ferne-artwork_2021

Van Holzen – Aus der Ferne – Review

Die drei Musiker von VAN HOLZEN legen mit “Aus der Ferne” ihr drittes Album vor. Es ist auf den ersten Blick gar nicht so düster geworden, wie man vom Titel, dem Artwork und der Stimmung in den letzten eineinhalb Jahren ableiten könnte. Wobei der Serotoninhaushalt bei den meisten wohl eh schon so weiter heruntergefahren wurde, dass man keinen normalen Maßstab mehr ansetzen kann.

Ich liebe den Gesang von Florian Kiesling, der gleichermaßen überheblich wie komplett ernüchtert und hilfebedürftig klingt. Er (dis)harmoniert perfekt mit dem post-punkingen Indie-Noise-Unterbau, den seine beiden Kollegen emsig stapeln. Den ständigen Hinweis auf das Alter der Band, finde ich müßig, aber es ist natürlich nicht unwesentlich, wenn drei junge Menschen schon so reflektiert texten und so dicht komponieren, ohne auf den großen Knall zu setzen.

VANHOLZEN_DianaMuehlberger_2021
VAN HOLZEN, Foto von Diana Muehlberger

“Ich habe mein Hirn verloren, wer sammelt es wieder ein?”

“Aus der Ferne” wurde mit Sicherheit von der Pandemie geprägt, trotzdem ist dieses Gefühl von Stillstand, sich klein fühlen, das ständige Nachdenken (“Hirn”) und grundsätzlicher Unsicherheit ein allgemeingültiges, das einen in jedem Alter packen kann. VAN HOLZEN sind weder larmoyant, noch aggressiv. Sie schildern schlicht, was ihnen durch den Kopf geht. Manche Wiederholungen gehen erst durch einen kleinen Zusatz auf oder die plötzlich frei fliegende Gitarre zeigt die emotionale Marschrichtung (“Gras”) an. Das ist ein ganz ureigener Trick der Band. Im Vergleich zum direkten Vorgänger, wurde die Ecken und Kanten grob geschliffen. Die Songs sind nicht besonders reich an Haken, ereignisarmer und gerade deshalb nimmt man die zwischendrin aufblitzenden Feinheiten deutlicher wahr.

Keine Lösung parat

Während es auf dem letzten Album noch “Ich und meine Freunde haben Angst” hieß, gibt es nun Zeilen wie “Ich kenn’ die Lösung auch, nur kann mich gerade keiner sehen”, die nicht weniger gespenstisch wirken. Dass in den lauten Momenten wie “Deiner Meinung” auch der Gesang verhältnismäßig lang ruhig bleibt, ist auch ein schöner Kontrast, den VAN HOLZEN immer mal wieder herstellen. Gitarre und Bass zerschneiden hier stetig den Takt mit einem garstig eskalierenden Dark-Wave-Riff. Auch hier steht man am Ende des Songs komplett ernüchtert von einer Art lyrischen Scherbenhaufen, kann nur zustimmen und gleichzeitig bestätigen, dass wieder ein Stein auf dem gesellschaftlichen Yenga-Turm gezogen wurde.

“Ich wünsche mir, dass wir daraus lernen”

Das hypnotisch nach vorne taktende “Computer” behandelt eine ähnliche Thematik. Der verzweifelte Versuch über die vielen Angebote im world wide web irgendwo eine universelle Erklärung zu finden, die Erlösung bringt und alles etwas erträglicher macht. “Maß” kritisiert den Plan B, der die Menschen auf den Mars aussiedeln soll. Aber was ändert das, wenn der Mensch grundsätzlich ein egoistisches, alles voll müllendes Individuum ist, das gar nicht anders kann, als zu zerstören und herrschen zu wollen? “Arche” ist eine der vielen Versuche, sich irgendwie mit den Protesten der sogenannten Querdenker auseinanderzusetzen. VAN HOLZEN transferieren die biblische Geschichte, die sich auf die Rettung eines Paares pro Tier beschränkt und den Erhalt dieser auf die Fahne schreibt. Letztendlich bedeutet das den einkalkulierten Tod aller anderen.

In “Biss” versetzen sich VAN HOLZEN in die Lage der Tiere, die durch den Klimawandel ihren Lebensraum verlieren und eindringlich darauf hinweisen, dass wir die nächsten sind, denen es an den Kragen geht. In solchen Momenten sind wir ganz weit weg von Post-Punk oder Indie, die Band kesselt uns mit ihrem ultratiefen Sound komplett ein. Bei genauer Betrachtung ist “Aus der Ferne” also ein sehr düsteres Album, denn alle Themen basieren auf aktuellen, wahren Begebenheiten. Wir sprechen nicht mehr über interpretierbare Gefühlszustände oder Teenage Angst. Es brennt, wir entfernen uns voneinander, der Turm stürzt bald ein.

Dauer: 39:07
Label: Omn Label Services (Rough Trade)
VÖ: 12.11.2021

Tracklist “Aus der Ferne” von VAN HOLZEN
Gini
Schlafen
Gras
Nagel
Dauerhaft
Deiner Meinung
Arche
Biss
Computer
Hirn
Maß
Letztes Jahr

Artikel, die Dir gefallen könnten:
DIE WÄNDE- s/t
KURSCHATTEN – Träume in Pastell
BETTEROV – Olympia
LAUNDROMAT CHICKS – Trouble
SMILE AND BURN veröffentlichen Video zu “In Vielen Farben”
Der große Quarantänekalender: Tipps und Tricks gegen Lagerkoller, Folge 8 mit VAN HOLZEN
TOCOTRONIC – Nie wieder Krieg
Track by Track mit KAAK zum Debütalbum
ALEX MOFA GANG – Nacht der Gewohnheit
Podcast Folge 42 mit Simon von LYGO über das Album “Lygophobie”
TRISTESSE – Im schwächsten Licht (EP)
ITCHY – Ja als ob
SCHARPING – Powerplay (EP)
WOLF MOUNTAINS – Urban Dangerous
BLOND – Martini Sprite
RAUCHEN – Gartenzwerge unter die Erde
MARIUS – Alles neu
Interview mit Panzer von ITCHY zum Album “Ja als ob”
MADSEN – Lichtjahre (live)
ALEX MOFA GANG – Ende offen
VAN KRAUT – Zäune aus Gold
PABST – Chlorine
SMILE AND BURN – Morgen anders
RADIO HAVANNA – Veto
VAN HOLZEN veröffentlichen neuen Song “Biss”
B104 – 2020
ALEX MOFA GANG – Ende offen (live)
DRENS – Pet Peeves
KIND KAPUTT veröffentlichen Video zum Song “Leichter”
Podcast Folge 16 mit Thomas von ILLEGALE FARBEN über das Album “unbedeutend ungenau”

VAN HOLZEN bei Facebook

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert