Casper – Alles war schön und nichts tat weh – Review
„Alles war schön und nichts tat weh“, so lautet der Titel von CASPERs neuem, sechsten Album, damit bezieht er sich auf den Klassiker „Schlachthof 5“ des amerikanischen Schriftstellers Kurt Vonnegut. Auch das Album dreht sich um Verwundungen, in unterschiedlicher Intensität und Ausprägung. Der Bielefelder Rapper, der schon immer viel mehr war und sein wird als das, erreicht mit dieser Platte zweifelsohne musikalisch ein ganz neues Niveau, eventuell ist es das sogar seine Endstufe.
Deshalb kann und darf man auch erwähnen, dass sicherlich nicht alles, was CASPER bisher angefasst hat, pures, kreatives Gold war („1982“). Aber nun macht er alles wieder gut, indem er uns schonungslos und eindrücklich von den schlechten Zeiten berichtet. Von denen, die hinter und denen, die vor uns liegen.
Den Zeitgeist mitten ins Herz getroffen
Ohne diesen zu ignorieren, hat CASPER aber auch nie wirklich auf den Zeitgeist abgezielt. Seine Themen sind eigentlich unabhängig von Trends und Altersgruppen und immer aktuell. Wer hätte auch wissen können, dass jetzt zur Veröffentlichung von „Alles war schön und nichts tat weh“ der Krieg so nah vor der Tür droht, wie schon lange nicht mehr. Ein Song wie „BILLIE JO“, in dem es um Kriegstaumata geht und der auf einer tatsächlichen Begebenheit in CASPERs Familie in den USA basiert, erscheint somit in einem anderen Licht. In „ZWIEBEL & METT (Die Vergessenen Pt 3)“ setzt er sich mit dem Untergang der Menschlichkeit auseinander. Es schwingt aber keine panische Angst mit, sondern eher Resignation und die dezente Möglichkeit, dass alles kaputt sein muss, um neu zu wachsen. Das macht es noch gewaltiger.
Vergessen und Ignorieren
Zu DAS BISSCHEN REGEN (Die Vergessenen Pt. 4), in dem der Bass immer wieder Abgründe aufreißt, fallen uns wohl alle sofort entsprechende Bilder ein. Die Zeiten, in denen wir dazu betroffen ins Ausland blicken – selbst wenn sich hier tatsächlich auf Hurrikan Katrina bezogen wird – und uns dann gleich wieder unserem eigenen Shizzle zuwenden konnten, sind lange vorbei. Das Klavier in dem Song vermittelt das Gefühl, dass wir auf diese Episode schon fast eher zurückblicken, die entscheidenden Chancen vielleicht schon vertan wurden. Die Kritik an den Medien, die Klimakatastrophen gerne als Clickbait-Futter nutzen und die tatsächliche Situation dadurch verzerren, ist unüberhörbar. „Hoffnung nicht tot, nur die Sachen, die wir lieben“ versucht CASPER zumindest ein bisschen Licht hereinzulassen, doch der Zusatz „Die Vergessenen“ ist mitnichten zufällig ausgewählt. Denn sobald die Krise ausgeschlachtet ist, lassen die Medien schnell ab und widmen sich der nächsten Sensation zu.
Gespenstisch und alles einnehmend
Was „Alles war schön und nichts tat weh“ von CASPER so bedrückend und gespenstisch macht, ist die Tatsache, dass sich die dunklen Stimmungswolken nie wirklich verziehen. Das führt dazu, dass uns Songs wie „WO WARST DU“ auf einer ganz anderen, tieferen Ebene erreichen. Traumbesetzt ist dann „EUPHORIA“ mit Arnim Teutoburg-Weiß von den BEATSTEAKS. Er liefert eine Verneigung vor CHILDISH GAMBINO und PRINCE ab und zaubert mit CASPER zusammen für mich das absolute Gänsehaut-Highlight der Platte. Ein ambivalentes Wechselbad der Emotionen, mit ungewöhnlicher Instrumentierung und einem herausragenden, poetischen Text, der mich zu Tränen rührt und mir gleichzeitig den Hals zudrückt.
Unsere Lieder für die Zeit danach
Leidglich „MIESES LEBEN / WOLKEN“ mit HAIYTI funktioniert atmosphärisch leider überhaupt nicht. CASPER fährt symbolisch mit einem LKW über den Feldweg und beraubt den ursprünglichen Song „WOLKEN“ seiner kompletten Tiefe. HAIYTI ist aber zumindest die Einzige, die sich hier auf dem Album, im Hinblick auf die Stimmung, irgendwie richtig platziert anfühlt. Denn genau von ihr kennt man diese Ernüchterung schon. Alle anderen hat CASPER meisterhaft auf seine Seite gezogen und auf seine angestrebte Stimmung eingeschworen.
Produziert hat das Album Max Rieger (DIE NERVEN, ALL DIESE GEWALT…), es ist ihm gelungen, die wesentlichen Details bewahren, dem Sound Tiefe zu geben und ungewöhnliche Akzente zu setzen. Mit Sicherheit wünscht sich auch CASPER nicht den Untergang, versteht sich von selbst. Aber mit seinem neuem Album „Alles war schön und nichts tat weh“ hat er einen mahnenden Vorgeschmack darauf gegeben, wie die Lieder klingen, die wir irgendwann rückblickend singen werden, dürfen, können, müssen…
Dauer: 50:03
Label: Eklat Tonträger / Sony
VÖ: 25.02.2022
Tracklist „Alles war schön und nichts tat weh“ von CASPER
ALLES WAR SCHÖN UND NICHTS TAT WEH
LASS ES ROSEN FÜR MICH REGNEN feat. Provinz & Lena
TNT feat. TUA
BILLIE JO (PRELUDE)
BILLIE JO
ZWIEBEL & METT (Die Vergessenen Pt 3)
DAS BISSCHEN REGEN (Die Vergessenen Pt 4)
WO WARST DU
MIESES LEBEN / WOLKEN feat. Haiyti
GIB MIR GEFAHR feat. KUMMER
EUPHORIA feat. Teute
FABIAN
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Wunderschönes Album ❤️