Fahnenflucht Weiter Weiter

Fahnenflucht – Weiter Weiter – Review

Geschlagene 21 Jahre gibt es nun schon die deutsche Punkrockband FAHNENFLUCHT, mit „Weiter Weiter“ legt das Quintett das sechste Album vor. Den Albumtitel darf man mit Sicherheit nicht als Kapitalismuskurbel verstehen. Es ist eher eine Aufforderung dazu, sich einerseits nicht zu ernst zu nehmen und trotzdem möglichst rücksichtsvoll und nachhaltig zu leben. Um der bestmöglichen Welt so nahe wie möglich zu kommen, muss man immer weiter machen. Wobei FAHENFLUCHT die essenzielle Frage gleich im Opener stellt: „Was für eine Welt wollt ihr denn haben?“

FAHNENFLUCHT, 2021

Kein Volk, sondern Gesellschaft

Ohne das so genau zu wissen, reicht es manchmal schon aufzustehen, wenn sich die Welt in eine ungünstige Richtung dreht. Schimpfen lässt sich auf einiges: Soziale Ungerechtigkeit, das eklige Bereichern an anderen Ländern, den fortschreitenden Klimawandel, laut schimpfende Demonstrant*innen, die den Schuss nicht gehört haben oder der hohl drehende Kapitalismuswahnsinn. Ehe du dich versiehst, kannst du nämlich selbst auf der Verliererseite stehen. Aber kannst du bis dahin in der vermeintlichen Siegerrolle leben, wenn du weißt, dass deshalb andere leiden müssen?

„Bewegung“ heißt der zweite Song von „Weiter Weiter“ und hier treffen FAHNENFLUCHT auch musikalisch den Nerv. Kriegt euren Arsch hoch, macht was! Das Schlagzeug von Jan hetzt die Gitarren in wilder Blitzgeschwindigkeit im Zickzack und spätestens jetzt ist man drin im Pogo-Wahn. Im DocMa Klang Studio in Osnabrück wurde die Dynamik von FAHNENFLUCHT perfekt auf Platte gebannt. Die hymnischen Momente geben klar den Ton an und trotzdem klingt „Weiter Weiter“ angenehm dreckig. Alles andere wäre schon allein wegen des barschen Gesangs nicht möglich. Der bricht mir persönlich zu häufig mal aus, kann sich aber glücklicherweise auf die extrem stabile Rhythmusfraktion verlassen.

Vielleicht sind drüber alle gleich?

Die aktuelle Grundstimmung – von allen, die irgendwie noch ein Gespür für die Welt um sich herum haben – ist gleichzeitig so dunkel und angsteinflößend, wie lange nicht mehr, aber auch hoffnungsvoll. Das haben FAHNENFLUCHT schon einfließen lassen. Denn es gibt auch Hoffnung, wenn solche Bands nun vollkommen selbstverständlich Songs wie „Vater Unser“ bringen. Kluge Reflektion vom Patriarchat und zwar ohne anderen die Stimme zu nehmen. FAHNENFLUCHT nehmen nämlich Bezug auf die Nachteile, die Männer selbst von diesem fest verankerten System haben.

Das, und die Unterstützung der anderen, ist aus meiner Sicht genau der richtige Weg. Das Patriarchat ist für uns alle scheiße, es ist kein Frauending. Und so thematisieren wir immer häufiger – und eben immer öfter auch ernsthaft und nicht nur aus Pflichtbewusstsein – warum es Zeit für eine Wende in der Gesellschaft ist. Songs wie „Energie“, ganz offensichtlich ein musikalisches Winken an eine verstorbene Person, klingen dementsprechend auch viel intensiver, als vielleicht noch vor 5 Jahren.

Die Wurzel des Übel

„Misantroph“ schaltet einige Gänge runter und wagt sich an trägen Reggae. Die Band stellt damit die wichtige Frage nach dem eigentlichen Virus, wahrscheinlich kommt man nur so auf die langfristige Lösung. Mit „Weiter Weiter“ ist FAHNENFLUCHT ein starkes Album gelungen. Eines, das zeitgemäß ist, mitdenkt und trotzdem nicht eine Sekunde nach Klickzahlen, großen Bühnen oder gar Charterfolgen schielt. Schön, dass es noch solche Bands gibt, die nicht zwangsläufig auf Trends setzen („Alte Lieder“). Die Aggressivität wirkt aufrichtig, wenn FAHNENFLUCHT durchziehen, dann richtig.

Allerdings haben sich an einigen Stellen Fragmente von bereits bekannten Songs von PASCOW (z.B. „Welcome To Hell“) oder DIE ÄRZTE eingeschlichen. Grundsätzlich hätte man „Weiter Weiter“ etwas stutzen können, da es schwer ist, dieses Tempo – instrumental und gedanklich – über 45 Minuten zu halten.

Dauer: 45:46
Label: Aggressive Punk Produktionen
VÖ: 28.05.2021

Tracklist „Weiter Weiter“ von FAHNENFLUCHT
Welt
Bewegung
Kein Teil
Vater Unser
Energie
Satt
Misanthrop
Alte Lieder
Asche
Welcome to Hell
Serotonin
Träume in Beton
BRND
Trümmer

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